Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
habe schon oft gesehen, wenn einer seine Tiergestalt annimmt, aber so etwas noch nicht. War es anders, weil du Stephens Tier hervorgerufen hast, anstatt dass es von selbst zum Vorschein kam ?«
»Nein«, sagte Richard.
Ich wartete auf eine Erklärung, aber mehr kam nicht. Er hatte nicht vor, noch etwas dazu zu sagen. Mir reichte das Nein nicht. Ich sah die anderen an. »Okay, dann erkläre mir bitte jemand, was gerade passiert ist.«
Jamil setzte zum Sprechen an, stockte und sah zu Richard. »Mit Erlaubnis meines Ulfrics.« Die Worte waren höflich, aber sein Ton ärgerlich, beinahe aufsässig.
Richard blickte ihn an. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber Jamil zuckte zusammen, fiel auf ein Knie in die schleimige Pfütze und neigte den Kopf. »Das war nicht böse gemeint, Ulfric.«
»Das ist gelogen.« Richards Stimme war tiefer als sonst, nur ein, zwei Tonschritte vom Knurren entfernt.
Jamil wagte einen schnellen Blick nach oben und senkte erneut den Kopf. »Ich weiß nicht, welche Worte du von mir hören willst, Ulfric. Sag es mir und ich werde sie wiederholen.«
Richard ließ Jamil knien und wandte sich mir zu. »Ich habe Stephens Tier nicht bloß hervorgerufen, ich habe es aus seinen, Körper herausgerissen.«
Ich sah zu Stephen hinab, der noch vor Richards Füßen kauerte. »Warum?« »Das ist eine übliche Strafe.« »Was hat Stephen getan?« »Nichts«, antwortete Richard schroff. »Warum bestrafst du ihn dann?« »Weil ich es kann.« Er hob das Kinn, als er das sagte, und seine Arroganz war wieder voll da.
»Was ist denn mit dir los, Richard?«
Er lachte, und das war so unpassend, dass ich zusammenfuhr. Er lachte, aber zu laut und sehr schroff. »Hat dir das nicht gezeigt, wie du Gregorys Tier hervorrufen kannst?«
»Ich habe überhaupt nichts daraus gelernt, außer dass du eine Scheißlaune hast und sie an anderen auslässt.« »Du willst wissen, was los ist? Willst du das wirklich wissen?« »Ja, allerdings.«
»Geh aus dem Weg, Stephen«, sagte er, und Stephen fragte nicht mal, warum. Er kroch bloß beiseite.
Richard und ich standen mit einen halben Meter Abstand voreinander. Was er mit Stephen gemacht hatte, schien ihn einiges an Kraft gekostet zu haben, aber seine Macht war noch da wie ein riesiges, schlummerndes Wesen.
»Öffne dich mir, Anita, fühle, was ich fühle.« »Das habe ich längst getan, weil ich dachte, dann würde ich mitkriegen, wie du es machst.« »Dann liegt es nur an meiner Abschirmung?«
Ich nickte. »Ich kann deine Wut spüren, ich verstehe sie nur nicht.«
»Nur meine Schilde zwischen uns und ...« Er schüttelte halb lächelnd den Kopf, dann ließ er die Schilde fallen. Es traf mich wie ein Faustschlag, trieb mich einen Schritt zurück: eine Wut, die gallebitter schmeckte, eine Selbstverachtung, die mir heiße Tränen in die Augen trieb. Eine Minute lang stand ich da und fühlte Richards Qual; es war erstickend.
Mit tränennassen Wangen sah ich ihn an. »Richard, oh Richard.«
»Kein Mitleid. Wage es ja nicht, mich zu bemitleiden!« Dabei packte er meine Arme, und sowie wir uns berührten, drängten die Tiere in uns nach außen und strömten heiß wabernd über uns. Sein Wolf stürmte in mich hinein, wühlte sich mit unsichtbaren Klauen durch meinen Körper. Ich schrie und warf mein Tier gegen ihn, spürte Krallen sein Fleisch zerreißen. Zu sehen war gar nichts, aber ich fühlte Fell und Muskeln und Fleisch zwischen Klauen und Zähnen. Ich schrie vor Schmerzen, aber auch vor Grauen, weil ich Richard zerfetzte. Er zerriss mich, und ich wollte ihn zerreißen; kein Denken mehr, nur noch Reaktion.
Wir brachen schreiend zusammen. Unsere Tiere hatten Krallen und Zähne ineinander geschlagen und wälzten sich. Vage nahm ich Richards Hände an meinen Armen wahr; er schien nicht loslassen zu können.
Rings um uns war Bewegung und Geschrei, aber niemand griff ein, keiner fasste uns an. Als wir fielen, stoben sie auseinander, als fürchteten sie die kleinste Berührung. »Was ist los? Was ist passiert?«, hörte ich sie schreien. »Anita, Anita! Richard, bändige es!«
Plötzlich war sein Tier wie ein Gewicht in mir, und dic Schmerzen waren vorbei. Die beiden Wesen lagen still beieinander, ohne dass eines in das andere griff. Ich glaubte den festen Druck eines Leibes in mir zu spüren, der Knochen und Fell hatte und nicht ich war. Hören konnte ich nichts außer dem Rauschen meines
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