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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Staatsanwaltschaft die gegen mich gerichtete Lüge herumsprach, bekäme ich nicht einmal mehr einen Termin beim Pförtner.

    Ich griff also zum Telefon und wählte die Durchwahl dieses Staatsanwalts. Als ich das Freizeichen hörte, stand ich auf. Ein bekannter Psychologe hatte einmal in einem Artikel geschrieben, dass die Stimme überzeugender und aufrichtiger klingt, wenn man steht.
    Der Staatsanwalt nahm ab und bellte seinen Namen in den Hörer. In ruhigem Ton stellte ich mich vor; ich nannte meinen Namen, den Namen meines Mandanten und das zugehörige Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft.
    Unwirsch wurde ich unterbrochen, aber darauf war ich gefasst. »Machen Sie kurz! Was wollen Sie?«
    »Mein Mandant hat mich gebeten, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, denn er möchte kooperieren.«
    »Und wie soll das bitte aussehen? Auch wenn Ihrem Mandanten das Wasser bis zum Hals steht, verschwenden Sie bloß nicht meine Zeit.«
    »Das liegt mir fern. Mein Mandant meint es ernst. Er würde gern auspacken, aber vorher möchte er sich vergewissern, was die Staatsanwaltschaft dabei für ihn tun kann.«
    »Wie meinen Sie das? Geständnisse werden immer schuldmildernd berücksichtigt. Reicht Ihnen das?«
    »Nun, eigentlich würden wir gern konkret wissen, welche Strafe am Ende stünde, wenn er auspackt.«
    »Das kommt darauf an, was Ihr werter Herr Mandant erzählt. Nur leeres Geplapper kann er sich sparen. Ohne Namen der Hintermänner läuft nichts.«
    Er hatte angebissen.
    »Mein Mandant wäre bereit, Ihnen die Struktur und auch die Rolle der anderen Beteiligten darzulegen.«
    »Das ist ja gut und recht, aber woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Bisher hat er doch geschwiegen und noch nicht einmal eine Haftprüfung beantragt. Wie es scheint, fühlt er sich doch im Knast ganz wohl.«

    »Da sprechen Sie genau das Thema an. Mein Mandant hat den Gefängnisaufenthalt genutzt, um über seine Zukunft nachzudenken. Dabei ist er zu dem Schluss gekommen, dass er wieder ein Leben als nützliches Mitglied der Gesellschaft führen möchte und seine Vergangenheit am besten hinter sich lässt. Vollumfänglich, versteht sich.«
    »So ein Gelaber höre ich den ganzen Tag von Ihren Anwaltskollegen. Sagen Sie, was er weiß, und ich überlege es mir.« Ich deutete die Hintergründe und die weiteren Verwicklungen des Falls an. Ohne die Aussage meines Mandanten, so wurde dem Staatsanwalt schnell klar, war das alles nicht zu beweisen. Wir verabredeten eine gemeinsame Besprechung in der Justizvollzugsanstalt zusammen mit meinem Mandanten für den folgenden Tag.

26
    Tags darauf war ich schon eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin bei meinem Mandanten, um mit ihm die bevorstehende Besprechung vorzubereiten. Ich erklärte ihm vor allem die Vorzüge der sogenannten Kronzeugenregelung sehr ausführlich, denn das war unser Trumpf.
    Hinter dieser Regelung, die ursprünglich nur im Betäubungsmittelstrafrecht Anwendung gefunden hatte, verbarg sich ein einfaches, sehr erfolgreiches, aber auch gefährliches Prinzip: Nannte ein Täter die Namen und wenn möglich auch die unterschiedlichen Tatbeiträge seiner Hintermänner, konnte das Gericht die Strafe für diesen »Kronzeugen« mildern. Wenn es wollte, sogar bis auf null, was im Fall meines Mandanten aber utopisch war. Eine beträchtliche Minderung der zu erwartenden Haftstrafe war jedoch zu erwarten. Unsere Taktik war also die genaue Umkehr des Vorschlags meines berühmten Kollegen: Anstatt die Schuld allein auf sich zu nehmen, nannte mein Mandant alle Beteiligten. So kam er wahrscheinlich mit einer viel milderen Strafe davon und die anderen saßen ihre verdiente Strafe ab. Meinem Mandanten kam es dabei vor allem darauf an, sein »Geschäft« nicht zu verlieren. Gefährlich ist diese Kronzeugenregelung, weil man die Repressalien der verratenen Straftäter fürchten muss und auch nicht genau weiß, wie weit die Strafe gemildert wird. Im ungünstigsten Fall gehen alle samt Kronzeuge für längere Zeit hinter Gitter.

    Zehn Minuten vor der Besprechung mit dem Staatsanwalt beendeten wir unsere Zusammenkunft. Mein Mandant ließ sich in seine Zelle zurückbringen, ich ging zurück in den Wartebereich und wartete auf den Staatsanwalt. Der ließ nicht lange auf sich warten. Nach einer kurzen Begrüßung gingen wir in
den Bereich der Besuchszellen, wo mein Mandant schon auf uns wartete. Offensichtlich hatte der Staatsanwalt eine direkte Durchwahl zu den Beamten, die für die Vorführung der Häftlinge

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