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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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zuständig waren. Wir setzten uns, wobei der Staatsanwalt mir und meinem Mandanten gegenübersaß.
    »Da Ihr Herr Verteidiger eben schon mit Ihnen gesprochen hat, zumindest sagen das die Wachbeamten und die Besucherliste, bin ich sehr gespannt: Was haben Sie mir denn nun zu sagen, was so wichtig ist?«, begann der Staatsanwalt in einem leicht gereizten Tonfall.
    »Das ist so eine Sache«, übernahm ich sofort das Wort. »Mein Mandant wäre bereit auszupacken, allerdings hätten wir vorher gern gewusst, wie sich das denn konkret auf das Strafmaß auswirkt.«
    »Auspacken. Was will er denn auspacken? Wenn er die Hintermänner nicht nennt, läuft nichts mit einem Deal.«
    »Auch die Hintermänner. Ohne Einschränkungen!«, versicherte ich.
    Für einen Deal war es sehr wichtig, auch die Hintermänner zu nennen. Überhaupt waren diese Deals zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, bei denen man sich im Vorfeld auf eine Strafe einigt, stark in Mode gekommen. Wenn man dabei alle Hintermänner nannte oder mehr zugab als nötig war - das nannten die Staatsanwälte »überschießendes Geständnis« -, hatte man richtig gute Karten, wenn es um das Senken der zu erwartenden Strafe ging. Auch wenn ein solcher Deal ursprünglich gar nicht im Gesetz vorgesehen war, wird er in der Realität schon seit Langem praktiziert. Erst sehr spät hatte der Gesetzgeber nachgezogen und den »Deal« offiziell anerkannt: Die Kronzeugenregelung war für die Ermittler eines der schlagkräftigsten Mittel im Kampf gegen das Verbrechen geworden. Nur so kamen sie an die Informationen, die sie selbst nie ermitteln konnten. Mittlerweile gehen die Ankläger
sogar so weit, gestohlene Daten und Informationen auch noch zu bezahlen, wenn sie damit andere Straftäter überführen können. Diese spezielle Art des Deals ist neu und früher war das undenkbar, da ging es nur um die eigene Strafe, um den eigenen Kopf. Und den wollte auch mein Mandant retten. Es war ja auch nicht einsehbar, weshalb es verwerflich sein sollte, die Wahrheit über die wahren Täter ans Licht zu bringen, anstatt für diese Verbrecher auch noch zu schweigen. In diesem Fall ist Reden Gold.
    »Na dann, schießen Sie mal los. Und noch was: Ich will es ausschließlich von Ihrem Mandanten hören. Einsagen gilt nicht.« Der Staatsanwalt drückte auf seinen Kugelschreiber und nun galt es.
    »Vorher möchten wir aber wissen, was danach passiert. Also Strafmaß im Hauptverfahren und Zeitpunkt der Beendigung der momentanen Untersuchungshaft«, schob ich noch schnell dazwischen.
    »Wenn Ihr Mandant tatsächlich seine Ankündigung zu meiner Zufriedenheit wahr macht, dann werde ich Ihrem Antrag, den Haftbefehl aufzuheben, zustimmen. Das heißt dann Freilassung in fünf Tagen. Und was die Strafe betrifft: Vielleicht können wir über eine Bewährung sprechen, aber nur, wenn bis zur Verhandlung nichts Neues mehr an Straftaten Ihres Mandanten ans Licht kommt. Und wir werden genau hinschauen, das verspreche ich Ihnen. Aber nun möchte ich hören, was Sie zu sagen haben.« Der Staatsanwalt drehte sich wieder zu meinem Mandanten und setzte den Kugelschreiber aufs Papier. Auch ich nahm meinen Stift zur Hand, um ebenfalls mitzuschreiben. Vielleicht konnte oder musste ich das Gehörte später noch einmal verwenden.
    Mein Mandant zögerte. Irgendetwas schien ihn am Sprechen zu hindern. Verlässt ihn ausgerechnet jetzt der Mut, hat er Angst vor den Mittätern?, schoss es mir durch den Kopf.

    Er räusperte sich und nahm eine aufrechte Sitzposition ein, dann endlich begann mein Mandant zu sprechen. Langsam und bedächtig fing er an, den Staatsanwalt über die Hintergründe und die Drahtzieher des Menschenhändlerrings aufzuklären. Er erzählte, wie er sich in eine der Haupttäterinnen verliebte, seine Frau und die drei Kinder verließ und auch sein bisheriges Geschäft aufgab. Seine Geliebte war eine attraktive Frau aus der ehemaligen Sowjetunion mit deutschen Wurzeln, weshalb sie auch beide Sprachen beherrschte. Mit ihm sprach sie Deutsch, am Telefon dagegen Russisch. Mein Mandant hatte früher eine sehr erfolgreiche Eventagentur geführt. Kurz nachdem er seine Geliebte und spätere Geschäftspartnerin kennengelernt hatte, hatte er seine Agentur aufgegeben, um mit ihr Events der anderen Art durchzuführen. Dabei gab es eine klare Aufgabenverteilung: Sie beschaffte die Frauen, die Schläger als Aufpasser, regelte die Preise und war die Kontaktperson zu den Hinterleuten. Mein Mandant organisierte die

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