Anklage
gerade lief. Mal mehr, mal weniger. Ihr Mandant hat uns nicht angelogen, wie es scheint.«
Nun war es an der Zeit den Staatsanwalt an sein Versprechen zu erinnern, denn er hatte, was er wollte. »Dann stelle ich den Haftprüfungsantrag und Sie stimmen der Entlassung meines Mandanten zu?«
»Machen Sie, der Haftrichter weiß Bescheid.«
Sofort nach dem Telefonat diktierte ich den Antrag auf Haftprüfung für meinen Mandanten. Drei Tage später war er frei.
Kurz bevor ich an diesem Tag nach Hause gehen wollte, klingelte das Telefon auf meiner direkten Durchwahl. Der kettenrauchende Kollege war am Apparat.
Während seiner Begrüßung konnte man deutlich hören, wie er den Rauch einer Zigarette ausblies. »Ich hatte Akteneinsicht in Ihrer Sache. Haben Sie einen Moment Zeit?«
Ich war sehr gespannt, was es Neues gab.
»Nun«, fuhr er fort, »die Akte enthält eine Zeugenaussage, die Sie belastet, einen Hinweis auf einen anonymen Tipp an die Staatsanwaltschaft und ansonsten nur das übliche, unwichtige Aktengedöns. Aber jedenfalls haben wir jetzt die angebliche Tatzeit.«
Er nannte mir Datum und Uhrzeit meiner angeblichen Zeugenbedrohung. Hektisch blätterte ich in meinem Kalender zurück.
»Jaaaa«, schrie ich in den Hörer; ich war total erleichtert. »Wir haben es geschafft!«
»Was ist denn los? Können Sie mich bitte auch aufklären, was Sie so in Ekstase versetzt?«
»Gern. Das mache ich so was von gern, das glauben Sie gar nicht. Also, genau an diesem Tag war ich in einer anderen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht. Dort habe ich einen Termin für einen Kollegen hier aus der Kanzlei in Vertretung wahrgenommen, um eine Verlegung der Verhandlung zu verhindern. Mit dem gerichtlichen Protokoll kann ich das auch beweisen. Ich suche es gleich raus und schicke es Ihnen zu. Dann können Sie es an den Staatsanwalt weiterleiten. Jetzt bin ich wirklich total erleichtert.«
Der kettenrauchende Kollege schwieg.
»Hallo, sind Sie noch da?«, fragte ich irritiert.
»Ähm, ja«, räusperte er sich, »da ist noch eine Kleinigkeit.«
Ich war schlagartig wieder auf den Boden geholt, die Freude war weg.
»Also, wissen Sie, ich würde Sie ungern vertreten. Das hat nichts mit Ihnen zu tun, das müssen Sie mir glauben.«
»Was ist es dann?«
»Es liegt an mir. Ich habe nicht den Nerv, mich mit einem offensichtlich übermotivierten Staatsanwalt und dann auch noch mit unserem berühmten Kollegen auseinanderzusetzen. Ich kann das nicht mehr, dazu bin ich zu alt. Ich weiß, wie solche Gegner agieren und möchte das einfach nicht mehr auf meine letzten Berufsjahre durchmachen müssen.«
Ich war geschockt, brachte aber keinen Laut heraus.
»Und nun, da Sie ja ein Alibi haben, können Sie das ja selbst machen. Ich pack das einfach nicht. Verzeihen Sie mir.«
Ich konnte nichts dagegenhalten. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Gegen mich und für seine Ruhe. Natürlich musste ich diese Entscheidung akzeptieren, auch wenn sie mich persönlich sehr traf.
Anstatt nach Hause zu gehen, blieb ich auf meinem Schreibtischstuhl sitzen und starrte aus dem Fenster in die Nacht. Der kettenrauchende Kollege, mein Vorbild als Anwalt, hatte mir soeben gesagt, er möchte seine Ruhe haben. Ich war erschüttert, denn es zeigte mir, dass auch Vorbilder nur Menschen sind. Ich verscheuchte die trüben Gedanken und suchte die Akte, die das mich entlastende Protokoll des Arbeitsgerichts beinhaltete, setzte noch ein kleines Anschreiben an den Staatsanwalt auf, fügte eine Kopie des Protokolls bei und steckte beides in ein Kuvert. Ich ließ es mir nicht nehmen und warf das Kuvert auf dem Nachhauseweg persönlich in den Briefkasten der Staatsanwaltschaft.
Die Sache müsste nun eigentlich ausgestanden sein, wenn alles mit rechten Dingen zugeht.
Eine belanglose Woche zog ins Land und ich beschäftigte mich mit meinen anderen Fällen. Kurz vor Mittag stellte die Sekretärin einen Anruf durch. Es war der berühmte Kollege.
Er gratulierte mir. »Ich muss zugeben, ich habe Sie unterschätzt, obwohl man viel Gutes von Ihnen hört. Aber Sie sollten mich nicht mehr so vor den Kopf stoßen. Auch meine Mandantin, die Geliebte Ihres Herrn Mandanten, ist nicht wirklich erbaut über den Stand der Dinge. Sie hatte sich das ganz anders vorgestellt. Ich soll Ihnen Grüße von ihr ausrichten.«
»Ehrlich gesagt verstehe ich den Grund Ihres Anrufs nicht. Sie wollen mir doch nicht wirklich gratulieren, und als Grußbote scheinen Sie mir deutlich zu
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