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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Wecker klingelte, fühlte ich mich wie von einer Eisenbahn überfahren. Übermüdet schleppte ich mich zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Als ich ging, machte mir der Polizist keine große Hoffnung. »Solche Täter sind schwer zu ermitteln, die sind längst über alle Berge.«
    Vier Monate später sollte ich ein Schreiben der Staatsanwaltschaft in meinem Briefkasten finden, in dem man mir mitteilte, dass das Verfahren eingestellt wurde. Es konnte kein Täter ermittelt werden.

28
    Auch wenn der Haftprüfungstermin für meinen Mandanten gut verlaufen war, stand noch die Hauptverhandlung vor dem Strafgericht an, die ein Jahr, nachdem er festgenommen worden war, stattfand. In der Hauptverhandlung entschied sich, ob mein Mandant, der ja nach dem Haftprüfungstermin auf freien Fuß gekommen war, wieder hinter Gitter musste.
    Zu dieser Hauptverhandlung erschien er in seinem besten dunklen Anzug. So ganz in dunkle Farbe gekleidet sah er blass aus, und die Angst vor der Verhandlung und der drohenden Strafe werden ein Übriges dazugetan haben.
    Die Verhandlung begann wie jede andere Verhandlung auch. Nachdem die Presse ihre Plätze eingenommen hatte, kam das Gericht und alle standen wie gewohnt auf. Dann folgte die übliche Prozedur der Namens- und Personenfeststellung. Der vorsitzende Richter wickelte alles sehr routiniert und unaufgeregt ab. Nachdem die Formalitäten der Verhandlung vollständig erledigt waren, wurden die Angeklagten gefragt, ob sie sich äußern wollten. Das war die letzte Chance für die Hintermänner. Würde mein Mandant reden oder hatten sie es geschafft, ihn durch Drohungen im Vorfeld der Verhandlung so weit zu bringen, dass er seine Aussage verweigern würde? Schließlich hat jeder Angeklagte das Recht, die Aussage zu verweigern, insoweit wäre das gar nicht aufgefallen und hätte sicher auch keinen Beweis gegen die Hintermänner bedeutet. Alle warteten gespannt, ob und was mein Mandant aussagen würde.
    Der vorsitzende Richter blickte ernst über seine Brille zu meinem Mandanten: »Möchten Sie sich zu den Vorwürfen äußern?«
    Einen kurzen Moment kehrte Stille ein. Mit einer langsamen und kontrollierten Bewegung drehte sich mein Mandant auf
seinem Platz so, dass er frontal zum Richter saß. Üblicherweise sitzen die Angeklagten seitlich zum Richtertisch.
    Er richtete sich auf, zupfte an seiner Krawatte und sagte endlich die erlösenden Worte: »Ja, das möchte ich.«
    Es klang wohl überlegt und feierlich, beinahe wie das Jawort bei einer Hochzeit. Dann erzählte er, wie es tatsächlich gewesen war, er beschrieb auch seinen Tatbeitrag ohne Umschweife und Beschönigungen. Es war die Geschichte, die auch schon der Staatsanwalt kannte. Am Ende seines Berichts stand mein Mandant sogar auf. Ein im Saal befindlicher Justizwachtmeister, der für die Sicherheit aller Anwesenden verantwortlich war, zuckte kurz zusammen.
    Doch mein Mandant beendete nur seine Aussage mit den Worten: »Es tut mir aufrichtig leid.« Er stand mit leicht gesenktem Kopf da. »Es tut mir leid, was ich getan habe, und ich bin bereit, die angemessene Strafe dafür zu erhalten.« Dann setzte er sich wieder.
    Auf der Anklagebank, auf der alle Angeklagten nebeneinander saßen, herrschte eisiges Schweigen. Im weiteren Verlauf des Prozesses versuchten die anderen Verteidiger noch alles, um meinen Mandanten als Lügner darzustellen. Aber sie scheiterten. Als der Richter das Urteil verkündete, wurden die Täter hart bestraft und für lange Zeit in Haft geschickt. Außer mein Mandant. Der Richter sagte, dass das Geständnis im Hinblick auf den Tatvorwurf und die Struktur der Organisation und ihrer Mitglieder besonders hoch anzurechnen sei und er auch glaube, dass die Reue ernst gemeint war. Mein Mandant bekam eine Bewährungsstrafe.

    Einige Tage später kam er zu mir in die Kanzlei, um sich zu bedanken. Auch ich war froh über den Ausgang des Verfahrens, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund: Wir hatten mit der Wahrheit gearbeitet und waren dafür belohnt worden. Wir
hatten durchgehalten; keine Drohung, keine Schläge und auch kein intrigantes Strafverfahren gegen mich haben mich daran zweifeln lassen, dass wir mit der Wahrheit am besten fahren. Auch wenn ich Angst hatte. Diese eigentlich für einen Strafverteidiger ungewöhnliche Erkenntnis bescherte mir den ersten Kontakt zu einem ganz besonders wertvollen Begleiter: den Glauben an mich selbst. Ich lernte an mich zu glauben und nicht auf andere und deren Versprechen hereinzufallen

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