Anklage
oder unter Druck nachzugeben und den guten Weg zu verlassen. Diese Erkenntnis, deren Tragweite ich erst viel später noch deutlicher erkennen sollte, beflügelte mich richtiggehend.
Die Medien dagegen fielen über uns her. In den Zeitungen war mein Mandant schon bei seiner Verhaftung vorverurteilt worden, obwohl ja nur Bruchstücke des Falls bekannt und die meisten dieser Informationen falsch waren. Aber es stand nun mal in der Zeitung und prägte die öffentliche Meinung. Die wahren Hintergründe schienen niemanden wirklich zu interessieren. Für diese Vergehen musste ein Schuldiger her, jemand, an dem man alles festmachen und den man anschließend abstrafen konnte. Die Medien trugen das Meiste dazu bei; statt recherchierter und fundierter Berichte über das Verfahren waren es wieder die auflagefördernden Blutüberschriften, die dort präsentiert wurden. Aber auch nach dem Prozess änderten sie ihre Marschroute nicht. »Brutaler Zuhälter kommt frei!«, hieß es beispielsweise. Da aber auch der findigste Journalist seinen Lesern nicht erklären konnte, warum in unserem Staat ein Zuhälter frei kam, während die anderen Angeklagten ins Gefängnis mussten, half nur ein Trick: Es war der gewiefte Anwalt, der seinen Mandanten herausgepaukt und der die gerechte Strafe verhindert hatte. Eine solche Geschichte war nicht nur einfach zu schreiben, sie hatte noch einen weiteren Vorteile: Man hatte gleich wieder einen neuen Schuldigen, den Anwalt. Davon, dass auch der Staatsanwalt auf eine Bewährungsstrafe
plädiert hatte, las man nichts. Doch ganz unrecht war das den meisten Anwälten gar nicht, denn sie lasen gern in der Zeitung, wenn sie angeblich ein gutes Urteil erstritten hatten. Das war eine gute Werbung, denn zu so einem Anwalt wollten doch alle.
Nachdem mein Mandant also auf Bewährung freigekommen war, stand noch die Entscheidung in meinem eigenen Verfahren der versuchten Strafvereitelung an. Ich wartete immer noch auf eine Entscheidung. Ein paar Wochen später kam der ersehnte Brief der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren war eingestellt worden und die Sache schien erledigt. Ich war wieder rehabilitiert und hätte weitermachen können wie bisher. Aber in mir hatte eine Veränderung stattgefunden. Es war nichts mehr so wie vorher. Die Frage der Gerechtigkeit drängte sich immer mehr in mein Bewusstsein zurück. Und so kümmerte ich mich wieder um die gekündigten Arbeitnehmer - denn dieser Fall war noch nicht abgeschlossen - und vertiefte mich in die Akten.
29
Es war ein sonniger, aber kühler Morgen, als ich mich mit den vielen Akten der gekündigten Mitarbeiter zum Arbeitsgericht aufmachte. Der erste Verhandlungstag war angesetzt und es fand eine sogenannte Güteverhandlung statt. Das bedeutet, dass der Arbeitsrichter eine Art Vermittlungsversuch unternimmt, um eine einvernehmliche Lösung in der Streitsache zu finden. Das Gesetz schreibt vor, dass eine Güteverhandlung nicht durch ein Urteil beendet werden darf. Dafür brauchte der Arbeitsrichter einen zweiten Termin und zwei Schöffen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine der beiden Parteien, die sich bei der Güteverhandlung einigen sollten, nicht erscheint; dann schließt sich die »echte« Verhandlung unmittelbar an und der Richter verkündet ein Versäumnisurteil. Sind aber beide Parteien im Saal und einigen sich nicht, dann wird erst die tatsächliche Verhandlung vorbereitet. Den Parteien beziehungsweise ihren Anwälten wird aufgegeben, sich zu dieser oder jener Frage schriftlich zu äußern. Dafür werden Fristen gesetzt, deren Nichteinhaltung ein Risiko ist, allein aus diesem Grund den Prozess zu verlieren.
In die Güteverhandlung kann man als Beklagter beziehungsweise Anwalt der beklagten Partei erscheinen, ohne zuvor etwas begründet zu haben. Man hat dort die Gelegenheit sich zu äußern. Und so hielt es auch der Anwalt des beklagten Betriebs. Er kam ohne Schriftsatz und führte allgemeine Reden. Konkret wurde er nicht. Seine wahren Motive ließ er nicht durchblicken, und so fand der Prozess keine Einigung und es wurde die Entscheidung des Gerichts vorbereitet. Die Zeit der Schriftsätze begann, denn der Anwalt des Betriebs musste nun jede einzelne Kündigung begründen und seine Begründung auch unter Beweis stellen.
Es zogen 15 lange Wochen ins Land, dann endlich lag die Begründung der Kündigungen vor. Ausführlich wurde die angeblich schlechte wirtschaftliche Lage des Betriebs geschildert mit der aus Sicht des Betriebs einzig möglichen
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