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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Konsequenz: die Mitarbeiter zu entlassen. Keine Silbe fand sich zu den Managergehältern der Führungsetage. Aus den Unterlagen war aber ersichtlich, dass diese weiterhin auf dem gleichen hohen Niveau lagen und über eine Verkleinerung des Managements nicht einmal nachgedacht wurde. Offensichtlich waren die Manager alle unabkömmlich, während diejenigen, die die eigentliche Arbeit machten, als Kostenfaktor zu »beseitigen« waren. Es wurde auch nicht erklärt, warum der vor den Kündigungen vereinbarte Lohnverzicht nicht die Managerebene betraf, sondern nur die übrigen Mitarbeiter.
    Ich verfasste einen Schriftsatz, der meiner Wut über diese rücksichtslose Vorgehensweise entsprach. In der Kanzlei brachte mir das den Spitznamen »der Rote« ein. Aber das war Nonsens; mir ging es nicht um Klassenkampf oder die Umverteilung von Macht. Mir ging es um Gerechtigkeit. Es war für mich nicht einzusehen, warum diejenigen, die offensichtlich die Schieflage verursacht und zu verantworten hatten, keine Konsequenzen tragen sollten. Ganz besonders brachten mich die Dienstwagenbestellungen der Führungsebene auf die Palme. Dort gönnte man sich auch in schlechten Zeiten noch einen sehr ansehnlichen Fuhrpark. Begründet wurde das mit der Repräsentantenfunktion dieser Manager. Besonders ärgerlich an diesem eitlen Gehabe war die Tatsache, dass die sogenannte Führungsebene auch nur Angestellte waren, die zwar hohe Gehälter bezogen, aber keinerlei Risiko trugen. Das alles machte mich sehr wütend und zwar genau so, wie ich früher als Student wütend war, wenn man mir von ungerechten Situationen erzählte.

    Diese Wut zeigte mir, dass ich noch keine dieser willfährigen Maschinen geworden war, die einfach nur das tun, was man ihnen befiehlt. Obwohl ich doch nach außen bisher sehr gut in diesem Sinn »funktioniert« habe: ein Mensch, der das getan hatte, was man ihm vorschrieb, ohne dass er es wirklich wollte. Ein Mensch, der sich unterordnete, ohne die Sache gutzuheißen, die man ihm auftrug. Ein Mensch, der nicht das tun durfte, was sein Herz sich wünschte. Und das nur, weil er dachte, dass man funktionieren müsse, um leben zu können. Ich wollte nicht mehr bloß funktionieren, ich wollte wieder für die Gerechtigkeit da sein. In diesem Moment fühlte ich mich so motiviert wie lange nicht mehr. Ich war wieder ein Mensch, der sich befreien wollte von den Vorgaben, die nicht in seinem Werterahmen lagen. Ich fühlte echte Freiheit.
    Aber das Gefühl hielt nur solange an, bis die Sekretärin die an die Mandanten gerichteten Kostennoten hereinbrachte. Schnell wurde ich an das erinnert, was hinter allem steckt: Geld und die Notwendigkeit, es besitzen zu müssen, um ein eigenes Leben haben zu dürfen. Geld entschied, wer wo stand. Ohne zahlende Mandantenschaft konnte ich nicht essen, trinken oder Miete zahlen. Und so wurde mir erneut bewusst, dass ich nicht frei, sondern abhängig war von Mandaten, die Geld in die Kasse bringen. Es war immer die gleiche Wahl: Freiheit, nur solche Fälle zu übernehmen, die mir am Herzen lagen und in denen ich für Gerechtigkeit kämpfen konnte, oder Sicherheit mit Mandaten, die gutes Geld abwarfen aber hinter denen ich nicht mit all meiner Überzeugung stehen konnte, weil sie wenig bis nichts mehr mit meinen Idealen zu tun hatten. Ich bekannte mich also wieder einmal zur Sicherheit statt zur Freiheit. Auch wenn die Sicherheit eine warme Mahlzeit bietet, während die Freiheit alles vage lässt: Freiheit ist ein echtes Recht der Menschheit, Sicherheit dagegen nur der Ausfluss zuvor geschürter Angst. Ich wusste das, aber ich fühlte mich zu
schwach für das Risiko. Es schien viel zu riskant, das Erreichte hinzuwerfen und neu anzufangen. Also machte ich weiter wie bisher, setzte meine Maske wieder auf und funktionierte nach außen hin, wie man es von mir erwartete und wie man das auch bezahlte. Ich tröstete mich damit, dass das Leben nun mal so ist. Während ich das dachte, unterschrieb ich die Rechnungen.

    Als ich fertig war, legte ich den Kugelschreiber neben die Unterschriftenmappe und drehte mich zum Fenster. Ich sah einfach nur in die Ferne. War ich nicht aus der alten Kanzlei weggegangen, weil ich hier in der Großstadt die Chance für eine Veränderung sah? Ich wollte weg von dort, wo ich die falsche Richtung eingeschlagen hatte, und sah die Chance, hier alles besser machen zu können. Mehr Gehalt bei größerer Entscheidungsfreiheit. Sicherheit und Freiheit. Es wäre zu schön gewesen, um

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