Ankwin - Tod eines Kriegers (German Edition)
Bewegungen, die mal langsam und dann wieder schnell waren. Ihr langer Zopf und ihr grüner Mantel vollführten die gleichen Bewegungen mit einer kleinen Verzögerung. Trotz der vielen Flocken konnte sie alles deutlich sehen. Es war ein ähnliches Gefühl, wie bei dem Gesang gestern. Die Zeit schien aufgelöst. Helmin erinnerte sich, von ihrer Muhme einmal etwas über die Gebete der Heilerinnen gehört zu haben. Ganz anders als die Kräuterfrauen auf den Dörfern lebten die Heilerinnen nach einem strengen Codex in Klöstern. Sie stellten ihre gesamte Existenz in den Dienst des Ordens und ihre Heilkunst überstieg die der Kräuterfrauen um ein Vielfaches. Ihr Glaube stand an oberster Stelle und sie huldigten ihrem Gott in einem Bewegungsgebet. Das sollte die ständige Veränderung, den ständigen Fluss der Natur symbolisieren. Der ‚Tanz’, wie Moakin es genannt hatte, musste so ein Gebet sein. Es war wunderschön.
Neben dem Gebet gab es noch zwei genauso wichtige Dinge im Leben der Heilerinnen, zum einen das Bad als seelische Reinigung und der Dienst an den Menschen selbst.
Schließlich konnte sich Helmin losreißen. Ihr schossen so viele Gedanken durch den Kopf. Wer war dieser Ankwin eigentlich früher gewesen? Was hatten die Drei wohl früher alles erlebt? Was hatte der große Mann mit dem Ross im Fürstenholz vor? Wie konnte das Ross alleine hierher finden? Es musste von sehr weit hergekommen sein. Ein solches Ross wäre in dieser Gegend aufgefallen. Keiner der hohen Herrn, die von Zeit zu Zeit durch das Dorf kamen, hatte je ein solches Ross geritten.
Die Fremden waren gekommen, um ihren alten Wegefährten zu bestatten. Sie wollten ihn wie einen König bestatten. Helmin konnte sich nicht vorstellen, wie wohl ein König bestattet würde, aber es mussten Unmengen an Menschen, Tieren und Material dazu nötig sein.
Als Kind hatte sie die Hochzeit des Landvogts miterlebt. Schon damals waren die Auswirkungen im ganzen Dorf zu spüren gewesen. Wochenlang hatte man über nichts anderes gesprochen. Die Vorbereitungen für diese Bestattung würden bestimmt auch Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern. Vielleicht würde der Tote einbalsamiert. Sie hatte einmal davon gehört, dass man Tote für die Unterwelt haltbar machte, aber sie wusste nicht recht zu welchem Zweck.
Es würden viele Leute in das Dorf kommen, er war ja schließlich ein König. Und es würden mehr ehemalige Gefährten kommen, das spürte sie. Helmin war keine gebildete Frau, aber ein König musste von allem viel haben. Diese Gefährten würden auch essen und trinken wollen. Wer würde das alles bezahlen? Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Ihre Verantwortung hatte eigentlich mit dem Tod Ankwins geendet, aber hatte sie das wirklich? Helmin war sich nicht schlüssig. Sie hatte den Verstorbenen über Monate hinweg gepflegt, als sich kein anderer um ihn kümmern wollte. Sie hatte es als ihre Pflicht betrachtet. Sie hatte ihn über die Jahre hinweg immer wieder besucht und gehofft, eines Tages das Eis zu brechen. Und jetzt sollte sie einfach nichts mehr tun?
Nein, Helmin Aga Rothaar würde helfen, Ankwin anständig zu bestatten, mit all ihren Kräften. Irgendwie fühlte sie sich ihm noch verpflichtet, obwohl er nie etwas für sie getan hatte.
Ein der wenigen wirklich menschliche Regung, die sei bei ihm erlebt hatte, war, als er begriffen hatte, dass es dem Ende zuging. Er hatte ihr gesagt, sie solle ein Ledersäckchen aus der Truhe holen. Schwach, wie er war, hatte er es ihr in die Hand gelegt und ihre Hände beherzt um das Säckchen gedrückt. ‚Danke’ hatte er gesagt. In diesem Moment hatte die Aura und Größe, die er einst besessen haben musste, noch einmal durchgeschimmert. Die dankende Ablehnung war der Kräuterfrau im Hals stecken geblieben und sie hatte es angenommen. Das Säckchen war mit dicken Goldmünzen gefüllt und lag heute noch zuhause unter ihrer Strohmatratze.
Helmin fing an zu zittern und merkte dann, dass sich bereits eine kleine Schneehaube auf ihren verschränkten Armen und auf ihren Schultern gebildet hatte. Die grüne Gestalt kam langsam den Hügel herunter. Schnell schüttelte die alte Frau die feinen Flocken ab und hastete ins Haus.
Moakin saß am Feuer und schlürfte lautstark Tee aus einer Schüssel. Auf dem Tisch standen noch die Reste seines Frühstücks, Brot und Käse.
»Moakin, mein Sohn, du musst heute noch einmal ins Dorf. Wir haben nichts mehr zu essen und es werden noch mehr Leute kommen.«
Der Junge verzog
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