Ankwin - Tod eines Kriegers (German Edition)
Geburt ins Ohr geflüstert.«
Die Männer stockten in der Bewegung. Wenn jemand ihren wahren Namen kannte, so hatte er Macht über sie. So erzählten es zumindest die alten Geschichten. Sie war die Frau, die seit über vierzig Wintern jeden im Umkreis von drei Tagesmärschen auf die Welt holte und es war hier üblich, das die Hebamme das Neugeborene taufte. Sonst kannte niemand diesen Namen. Später wurde dem Kind dann ein weiterer Namen gegeben, um es ansprechen zu können. Beol drehte seine Augäpfel, als ob er über die Schulter sehen wollte, ohne den Kopf zu drehen.
»Und du erinnerst dich an jeden unserer Namen, altes Weib ...«
Obwohl er direkt vor ihr stand, hatte er den Schlag nicht kommen sehen. Der Wanderstock splitterte und über Beols linkem Auge quoll sofort Blut aus einer hässlichen Platzwunde. Er heulte wütend auf und drückte die Hand auf die Stirn. Schnell rann das Blut zwischen seinen Fingern hindurch und tropfte in den weißen Schnee.
Helmin hielt die Reste des Stabes in der zitternden Hand und war kurz davor, seinen Taufnamen laut auszusprechen. Das Einzige, was noch schlimmer war, war den Namen noch mit einem Fluch zu belegen.
Beol starrte sie entgeistert an, dann blickte er langsam zur Seite. Überrascht erblickte er die große Heilerin, die in ihrem grünen Mantel unmittelbar neben ihm stand. Da sie genauso groß war wie er, musste er ihr direkt in die Augen sehen. Ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. Die anderen vier hatte sie offensichtlich gar nicht kommen hören und verfolgten die Szene mit offenen Mündern.
Augenblicke verstrichen wie kleine Ewigkeiten. Beol fand keinen Halt in dem endlosen Grün ihrer Augen. Er war unfähig, sich zu bewegen. Langsam hob Lavielle ihre lange schmale Hand und legte sie auf seine Hand an der Stirn. Ein leiser Ton, wie von einer hellen Glocke, schwoll an und verklang dann wieder. Zwischen den Fingern des Tierfängers und der Heilerin war ein grünlicher Schimmer zu sehen.
Behutsam ließ sie die Hand sinken. Beol nahm ungläubig die Seine von der Stirn und blickte auf das klebrige Rot, das er zwischen seinen Fingern verrieb. Dann fasste er sich wieder an die Stelle, wo eben noch eine Platzwunde war. Er starrte wieder auf seine Finger.
»Geh.«, Lavielle sagt es weder drohend noch bittend. Sie sagte es einfach.
Beol versuchte noch einmal, ihren Blick zu erwidern, er konnte ihn jedoch nicht vom Boden lösen. Ohne ein weiteres Wort gingen die vier Männer wieder und Beol folgte ihnen. Wieder fielen Schneeflocken, diesmal jedoch ganz wenige. Tage später hatte Beol immer noch das ‚Geh’ in den Ohren.
Helmin stand immer noch zitternd mit dem Stock im Schnee. Die Heilerin ging langsam auf sie zu und nahm sie in die Arme. Schlagartig fühlte sich Helmin geborgen.
Trotzdem war sie verwirrt. »Was geschieht hier? Was geschieht mit mir? Ich hätte ihn beinahe ...«, ihre Stimme versagte, als sie in Tränen ausbrach.
Die letzten Wochen der Entbehrungen und der seelischen Last und dann diese Fremden, die sie nicht verstand. Das war alles zuviel für sie. Sie hatte ihr Leben, seit sie denken konnte, immer nur zum Wohle anderer eingesetzt. Heute hatte sie einen Menschen geschlagen.
***
Dumpf knirschten ihre Schritte in dem frischen Schnee. Sie sah nach unten, um dem beißenden Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. An dieser Stelle des Tales waren die Hügel sehr flach und ausladend, sodass der Wind auch den Pfad am Bach erreichte. Das monotone Gehen, die Bewegung an der frischen Luft und das quirlige Geplapper des Baches taten ihr gut. Nach und nach konnte Helmin ihre Gedanken wieder sortieren. Was war nur in Beol gefahren?
Sie hatte zwar immer gewusst, dass er ein Tagedieb war, aber diese Gier und Skrupellosigkeit hätte sie ihm nie zugetraut. Auch die anderen vier waren bei Lichte besehen eigentlich ganz rechte junge Männer. Hatte es mit dem Tod von Ankwin zu tun und mit seinem Gold?
Sie beschlich das Gefühl, dass hier irgendetwas unter der Oberfläche gärte, sie konnte nur überhaupt nicht sagen, was das war.
Die Kräuterfrau schüttelte die Gedanken entschieden ab. Helmin wollte sich nun auf ihr eigenes Vorhaben konzentrieren. Sie würde lüften, heizen und die Betten herrichten. Sie würde auf Moakin warten und dann noch einmal bei Iwe vorbei schauen, die war schließlich schwanger.
Auch wenn die Heilerin bis jetzt mehr Fragen aufgeworfen als sie beantwortet hatte, wusste Helmin nicht recht, was sie von ihr halten sollte. Es war
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