Anlass
ist vermutlich im Speisewagen beim Kaffee. Wir werden es mit dem nächsten versuchen.«
Wir gingen weiter. Als wir den nächsten Korridor zur Hälfte passiert hatten, blieb Zaleshoff hinter mir stehen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, und drehen Sie sich nicht um.«
Zehn Sekunden später stieß er mich in den Rücken.
»Gehen wir zurück.«
Wir gingen ans Ende des Korridors zurück und blieben vor der Toilette stehen. Ich öffnete die Tür. Dabei schob mir Zaleshoff ein weiches Bündel unter den Arm. Einen Augenblick später war ich in der Toilette und verschloß die Tür hinter mir.
Ich atmete tief, um meine Fassung wiederzugewinnen. Dann schrak ich heftig zusammen. Ein Mann sah mich an, wohl der scheußlichste Kerl, der mir je untergekommen war. Da entdeckte ich, daß ich vor einem Spiegel stand. Jetzt konnte ich das Mißtrauen des blauäugigen Trägers verstehen. Ich habe einen starken Bartwuchs, und auf meinem Gesicht waren die Stoppeln von zwei Nächten. Unsagbar schmutzig war ich auch. Zaleshoff hatte recht gehabt. Der Staub des ersten Tages, die Schmiere der Granaten, der Ruß vom Dach des Viehwagens und der Schweiß, den ich mir abgewischt hatte – alles kam zusammen. Mein Gesicht war eingefallen, meine Augen triefend und rot vor Müdigkeit. Die Farbe des Schals, die durch den Schweiß ausgelaugt worden war, hatte einen dunklen Ring um meinen Hals entstehen lassen. Die speckige Lokführerkappe vervollständigte die Wirkung. Kein Wunder, daß man mich nach dem Bild in der Zeitung nicht erkannt hatte.
Aber ich mußte an die Arbeit gehen. Ich legte Mantel und Kappe ab, rollte sie zusammen und warf sie aus dem Fenster. Dann zog ich Rock, Weste und Hemd aus, suchte den Rasierapparat hervor und bearbeitete mein Gesicht.
Auf Zaleshoffs Instruktion ließ ich einen Streifen Schnurrbart stehen und dazu Koteletten auf den Wangen, bis zur Höhe der Nasenspitze. Nachdem ich mich gewaschen hatte, kämmte ich das Haar gerade zurück.
Ich war von dem Ergebnis überrascht. Wie Zaleshoff vorausgesagt hatte, änderten die Koteletten die Proportionen meines Gesichtes vollständig. Mund und Kinn sahen kleiner aus, und meine Stirn war höher und schmaler geworden. Das zurückgebürstete Haar betonte diese Tendenz. Der schmale Schnurrbart ließ meine Nase stärker hervortreten.
Ich zog Hemd, Weste und Rock wieder an und wandte mich dem Bündel zu, das Zaleshoff gestohlen hatte. Es enthielt einen guten weichen Hut und einen Regenmantel. Beide waren grau. Ich besah mich darin im Spiegel. Abgesehen von dem schmutzigen weißen Kragen und der zerknitterten Krawatte, sah ich ganz anständig aus. Durch diesen Anblick und durch das Waschen aufgemuntert, öffnete ich die Tür und trat auf den Gang.
Zaleshoff lehnte draußen am Fenster. Er drehte sich um, und ich sah, wie seine schlauen Augen mich schnell vom Kopf bis zu den Füßen musterten.
»Nicht schlecht«, fand er, »aber Sie haben lange gebraucht. In zehn Minuten werden wir in Verona einfahren. Geben Sie mir das Rasierzeug und den Kamm, und gehen Sie wieder da hinein, bis der Zug langsamer fährt.«
Ich gab ihm das Rasierzeug und den Kamm.
»Was ist mit Ihren Kleidern?«
Er schlug sich auf den Magen, und ich sah, daß der blaue Umhang sich merkwürdig wölbte.
»Während Sie warten, könnten Sie Ihre Stiefel etwas in Ordnung bringen. Putzen Sie sie, so gut es geht. Sie sind das einzige an Ihnen, was nicht richtig aussieht. Und Ihr Hut ist etwas zu groß. Schieben Sie Papier ins Futterband.«
»Und unsere Koffer?«
»Das überlassen Sie mir. Ich werde dreimal an die Tür klopfen, wenn Sie herauskommen sollen. Warten Sie bis dann.«
Er entschwand im Korridor in Richtung zweiter Klasse. Ich zog mich wieder in die Toilette zurück und bearbeitete meine Stiefel. Ich hatte im Lokschuppen die Umschläge meiner Hosen heruntergelassen, aber nun, da ich sie wieder zurückschlagen mußte, sahen die Stiefelschäfte schlecht aus. Sie waren aus rohem, ungewichstem Leder und sehr zerkratzt. Ich rieb sie heftig mit dem Schal, aber ohne Erfolg. Oben sah ich aus wie ein honoriger italienischer Geschäftsmann, unten wie ein Arbeiter. Nach einer Weile gab ich es auf und ließ nur meine Hosenträger so weit herunter, daß die Stiefel möglichst bedeckt waren. Ich zündete mir eine Zigarette an und wartete.
Nach unendlichen acht Minuten merkte ich, daß der Zug seine Fahrt verlangsamte. Ich warf meine Zigarette weg und wartete auf Zaleshoffs Klopfen. Ich war in fieberhafter Aufregung. Der
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