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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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machte ein Gesicht, als ob er gar nichts gehört hätte. Er blickte geistesabwesend aus dem Fenster und beobachtete, wie ein Geländeeinschnitt vorbeiflitzte, während der Zug beschleunigte. Wieder antwortete er nicht.
    »In Verona wird man vermutlich auf uns warten.«
    Er nickte.
    »Wir können also nichts mehr machen.«
    »Aber sicher. Vieles. Nur nicht jetzt.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Seien Sie still. Ich muß überlegen.«
    Ich schwieg und zündete mir eine Zigarette an. Ich hatte Magenschmerzen und wußte nicht, ob es die Nerven waren oder der Hunger. Dann merkte ich, daß Zaleshoff mir prüfend ins Gesicht sah.
    »Sie sind ganz schön dreckig«, sagte er.
    »Allzu sauber sehen Sie auch nicht aus.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich auf einmal sehr wach und streitlustig. Giftig fuhr ich fort:
    »Ich habe schon immer gewußt, daß die Russen eine schmutzige Rasse sind. Aber Sie sind ja selbstverständlich Amerikaner, oder nicht?«
    Seine Gesichtsmuskeln strafften sich unter der Rußschicht »Ich hätte nie gedacht, Marlow, daß ein Schuljunge noch in solch absurdem Umfang in einem Erwachsenen fortlebt. Ich frage mich, ob Sie ein typischer Engländer sind. Vielleicht sind Sie es. Dann begreift man aber auch, warum das Hirn eines Kontinentaleuropäers die Engländer nie verstehen wird. Ich habe das oft bezweifelt. Der Engländer ist nichts weiter als ein intellektueller Peter Pan, ein großsprecherischer, rotnackiger Peter Pan mit einem schmutzigen kleinen Verstand und schmutzigen kleinen Flügeln: eine ungemein lächerliche Figur.«
    Eine zornige Entgegnung meinerseits fiel ziemlich plump aus. Wir zankten uns weiter.
    Gute fünf Minuten flogen die Bosheiten zwischen uns hin und her. Es war kindisch und absurd. Zaleshoff war es, der endlich aufhörte. Wir waren in übellauniges Schweigen versunken. Plötzlich wandte er sich mir zu und grinste albern.
    »Nun, Gott sei Dank, das hätten wir uns von der Seele geredet.«
    Einen Augenblick sah ich ihn noch ärgerlich an, dann mußte ich auch grinsen.
    »O.K.?« fragte er.
    Ich nickte. »O.K.«
    »Gut. Dann wollen wir mal zur Sache kommen.«
    »Glauben Sie wirklich, daß der Träger etwas unternehmen wird?«
    »Ich fürchte, ja. Er war schon mißtrauisch. Ich muß irgendwo einen Fehler gemacht haben. Wahrscheinlich, als ich Udine erwähnte. Vermutlich gibt es keine direkten Güterzüge von Udine hierher. Immerhin, wir können uns kein Risiko leisten. Irgendwie müssen wir aus diesen Kleidern heraus und vor Verona unser Aussehen verändern. Wir haben aber nicht viel Zeit dazu.«
    »Aber wie …«
    »Hören Sie zu.«
    Eine Minute redete er schnell auf mich ein. Ich verzog meinen Mund.
    »Ich glaube, wir müssen es versuchen. Aber ich muß sagen, ich fühle mich nicht wohl dabei, Zaleshoff.«
    »Das hab ich auch nicht erwartet. Mir geht es ebenso. Ich werde mich erst wieder wohlfühlen, wenn wir die Grenze hinter uns haben.«
    »Falls wir je über die Grenze kommen. Wenn sie uns jetzt erwischen, werden sie …«
    »Denken Sie nicht daran.«
    »Ja, ich weiß. Aber …« Ich schwieg hilflos. Es war mir schon gleichgültig, was mit mir geschah. Alles, was ich wollte, war Essen und Schlaf. »Nun müssen wir wohl erst geduldig auf den Kontrolleur warten.«
    »Ja, warten wir.«
    Wir warteten. Von Brescia nach Verona fährt man eine Stunde und die halbe Zeit war vergangen, bis der Kontrolleur am Ende des Ganges auftauchte. Mit der Zeit wurde Zaleshoff immer nervöser.
    »Vielleicht kontrolliert er auf dieser Strecke die Fahrkarten gar nicht«, gab ich zu bedenken.
    »Wenn er es nicht tut«, sagte er grimmig, »sind wir geliefert. Dann kontrollieren sie nämlich an der Sperre in Verona.«
    Als wir endlich den Kontrolleur am Ende des Ganges auftauchen sahen, stieß Zaleshoff einen Seufzer der Erleichterung aus. »Lassen Sie so wenig wie möglich Ihr Gesicht sehen«, murmelte er.
    Ich starrte hartnäckig aus dem Fenster. Aber die Vorsicht war unnötig. Der Mann ging mit einem flüchtigen Nicken an uns vorüber. Wir warteten, bis er ein paar Abteile weiter war. Dann stieß mich Zaleshoff.
    »In Ordnung. Jetzt gehen wir.«
    Wir schlenderten langsam zum Ende des Korridors und sobald wir außer Sicht waren, schritten wir schnell durch die Zweiter-Klasse-Wagen. Im Erster-Klasse-Wagen gingen wir wieder langsamer. An seinem Ende blieben wir stehen.
    »Im dritten Abteil von hier liegen ein Hut und ein Mantel«, berichtete Zaleshoff leise. »Aber es sitzt eine Dame dort. Der Mann

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