Anlass
Büfettmann hörten auf zu sprechen und beobachteten, wie wir näherkamen. Mir war übel vor Aufregung. Dann nickte der Träger Zaleshoff zu.
»Beim Güterbahnhof drüben gibt’s viel Ärger«, sagte er, »was ist denn los?«
Er war ein jüngerer Mann mit lebhaften blauen Augen.
Zaleshoff zuckte die Achseln. Seine Stimme klang belegt, als ob er erkältet wäre, und er sprach undeutlich. Man hätte schwerlich einen Akzent heraushören können.
»Sie haben ein paar Landstreicher in einem Güterwagen versteckt gefunden«, sagte er. »Die haben einem unserer Leute eine Flasche über den Kopf gehauen, und dann sind sie weggelaufen. Sie müssen in einem der Güterwagen stecken. Aber sie können aus dem Rangierbahnhof nicht heraus.«
Der Träger lehnte sich vertraulich vor. »Man hat uns gesagt, wir sollen aufpassen. Es heißt, es sind die beiden Ausländer, die in Mailand durchgegangen sind.«
Zaleshoff pfiff leise.
Der Träger schnalzte mit der Zunge. »Zehntausend Lire! Das ist allerhand, was?«
»Nicht schlecht. Aber« – er sah nachdenklich aus – »ich dachte, es ist nur einer.«
Der Träger zog eine Zeitung aus der Tasche. »Nein, zwei. Die Polizei glaubt, daß er einen zweiten Mann mit sich hat, dieser Ausländer. Vorgestern abend wurden sie in einem caffè bei Treviglio gesehen. Der padrone hat einen von ihnen nach der Fotografie in der Zeitung wiedererkannt. Hier steht es. Von dem zweiten haben sie keine Fotografie, aber eine Beschreibung. Wissen Sie, ich glaube, das sind keine Engländer, sondern Franzosen, oder vielleicht englische Spione, die für die Franzosen arbeiten. Die Franzosen werden uns den Dolch in den Rücken stoßen, wenn sie können. Gestern hab ich das Gepäck von einem Franzosen getragen, drei schwere Taschen, und ich besorgte ihm einen Eckplatz mit dem Rücken gegen die Lokomotive, wie er ihn haben wollte. Er gab mir fünf Lire. Nur fünf Lire!« Er starrte uns in bitterem Triumph an.
»Ja, die Franzosen!« sagte Zaleshoff. Er blickte nachlässig auf die Zeitung und lachte. »Na, Sie oder ich werden die Zehntausend wohl nicht einstecken. Ein Polizist wird sie kriegen, verlassen Sie sich darauf.«
»Ein Polizist!« ergriff jetzt der Büfettmann das Wort. Er senkte die Stimme. »Jemand erzählte mir gestern abend im caffè , daß es gar nicht die Polizei ist, die hinter denen aus Mailand her ist, sondern – na, Sie wissen, was ich meine.« Er sah uns vielsagend an.
Zaleshoff zuckte die Achseln. »Vielleicht.« Er wandte sich mir zu und stieß mich jovial in die Rippen. »Wie wär’s mit den zehntausend Lire, Beppe?« Dann wandte er sich wieder den beiden anderen zu. »Er ist schlecht aufgelegt. Seine Frau ist in Udine, und er denkt, wenn er nach Hause kommt, wird er ein paar Kameraden in ihrem Bett finden.«
Die drei brüllten vor Lachen. Ich blickte finster drein, Zaleshoff stieß mich nochmals in die Rippen.
»Wo kommt ihr denn her?« fragte der Träger plötzlich.
»Udine, und wir fahren wieder zurück.«
»Wie seid ihr denn hierher gekommen?«
Er sah nachdenklich aus. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus. Zaleshoff mußte einen Fehler gemacht haben.
»Wir haben einen Kühlwagenzug von Padua heraufgebracht. Sonderauftrag.« Er sagte es leichthin, aber ich sah an seinen Augen, daß er auf der Hut war.
Der Träger nickte, aber es war klar ersichtlich, daß er darüber nachdachte. Ich sah seine blauen Augen einmal von mir zu Zaleshoff gleiten. Mit einem inneren Seufzer der Erleichterung sah ich dann, daß der Zug signalisiert wurde. Zaleshoff nickte in die Richtung des Signals.
»Wohin geht dieser?« fragte er.
Der Büfettmann antwortete.
»Belgrad und Sofia direttissimo , mit einem direkten Wagen nach Athen. Er hat dritter Klasse bis Triest.«
»Venedig ist genug für uns.«
Der Träger öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloß ihn aber wieder. Ich sah, wie er die Achseln zuckte, als ob er einen Gedanken verscheuchte. Dann ging er den Bahnsteig entlang und begann einen Gepäckrollwagen für das Umladen in den Gepäckwagen zurechtzuschieben. Aber mir fiel auf, daß er von Zeit zu Zeit zu uns herüberschaute. Ein zweiter Träger erschien mit einem Postbeamten und einer hochgestapelten Ladung von Briefsäcken. Der Büfettkellner überprüfte seinen Kaffeeautomaten. Der Duft heißen Kaffees war eine raffinierte Tortur. Der Mann sah auf unsere leeren Hände.
»Wollt ihr heute nichts essen?«
»Wir haben schon gegessen«, sagte Zaleshoff schnell. »Vor einer
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