Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
Stunde.«
    »Kaffee?«
    Zaleshoff grinste. »Eine Lira die Tasse! Wofür halten Sie uns?«
    Der Angestellte lachte und begann den Wagen gegen das Ende der Plattform zu schieben. Wir blieben allein.
    »Der Träger …«, begann ich leise.
    »Ich weiß«, murmelte er. »Aber in einer Minute sind wir hier weg. Verdammt noch mal, eine Tasse Kaffee hätte ich vertragen können!« Er sah auf seine Uhr. »Zwei Minuten nach sechs. Wahrscheinlich hat er Verspätung.« Er blickte wie zufällig in die Richtung des Trägers. »Das ist schon unser besonderes Pech«, sagte er boshaft, »daß wir noch auf so einen Hurensohn stoßen, der Augen im Kopf hat … Der einzige Trost ist, daß er Angst hat, sich lächerlich zu machen.«
    »Na, bisher haben wir nicht allzuviel Pech gehabt.«
    »Wenn wir kein Pech gehabt hätten, wären wir in dem blöden Güterwagen nicht gefunden worden. Ich konnte die Plane von innen nicht fest genug machen, und der Wind hat sie losgerissen. Als wir im Rangierbahnhof stehenblieben, haben sie es bemerkt und mußten hinaufsteigen, um sie anzubinden. Sonst hätte man uns nicht gefunden.«
    Ich sah ihn von der Seite an. »Das habe ich nicht gemeint, das wissen Sie. Warum hat der Wagenschlosser uns nicht festgehalten? Er hat auch den andern Mann am Schreien gehindert, oder nicht?«
    »Warum sollte er? Wenn der verfluchte Zug nur schon kommen wollte.«
    »Es sieht besser aus, wenn wir weiterreden«, sagte ich anzüglich. »Was für ein Spiel haben Sie da im Büro gespielt, Zaleshoff?«
    »Ein Spiel?«
    »Ja – ein Spiel.«
    Einen Augenblick trafen sich unsere Augen. »Jetzt ist nicht die Zeit dazu …«, fing er an, dann zuckte er die Achseln. »1920«, fuhr er langsam fort, »ließen sich viele italienische Arbeiter Hammer und Sichel auf den Unterarm tätowieren. Nur um zu zeigen, daß es ihnen einerlei war, ob man wußte, daß sie Kommunisten waren oder nicht. Eine Art Ehrenabzeichen. Als der Mann mich festhielt, sah ich, daß er eine runde Narbe auf dem Arm hatte. Ich vermutete, daß er einmal eine solche Tätowierung hatte, es aber jetzt für sicherer hielt, das Abzeichen samt einem Stück Fleisch zu opfern. Ich dachte, ich versuche einmal, wie es steht. Ich nannte ihn Genosse. Das erschreckte ihn, denn der andere Kerl war zu jung, etwas anderes als den fascismo zu kennen, und er hätte ihn vielleicht verraten. Aber ich wußte, daß ich ihn hatte. Einmal Kommunist, immer Kommunist. Ich summte also die ›Bandiera Rossa‹ , das alte italienische Arbeiterlied. Als ich dann tat, als wollte ich trinken, nickte er mir zu. Ich wußte, er war okay. In der Dunkelheit schlug er dem Jungen eins unters Kinn, das reichte. Ich mußte dann leider dasselbe für ihn tun, damit er etwas zum Vorzeigen hat, wenn er verhört wird. Der arme Teufel!«
    Ich dachte einen Augenblick nach. »Wissen Sie«, sagte ich dann, »ich würde ihn nicht einen armen Teufel nennen, und Sie würden das wahrscheinlich auch nicht tun, wenn Sie nicht meinten, Sie müßten Ihrer Rolle als typischer aufrechter Amerikaner gerecht werden.«
    Er gab keine Antwort.
    Der Zug fuhr ein.
    Durch die Fenster der Schlafwagen konnte ich die weißen Kissen der oberen Betten sehen. Bei dem Anblick mußte ich sofort wieder gähnen. Plötzlich fühlte ich mich entsetzlich müde.
    Aus dem Dritter-Klasse-Wagen an der Spitze des Zuges stürzte sich alles auf das Büfett. Wir stiegen in den Waggon zweiter Klasse ein und gingen durch den Korridor nach vorn.
    Die Wagen dritter Klasse waren überfüllt und stickig. Soldaten waren im Zug, ihre Ausrüstung war im Korridor aufgestapelt. Durch die beschlagenen Fenster der Abteile sah ich müde, gehetzte Frauen, die ihre schreienden Kinder zu beruhigen versuchten. Die Luft roch nach Knoblauch, Orangen und Schlaf.
    »Wir bleiben im Korridor«, murmelte Zaleshoff.
    Fünf Minuten später fuhr der Zug an. Wir lehnten am Fenster und blickten hinaus. Der blauäugige Träger stand auf dem Bahnsteig und sah herauf. Unsere Blicke trafen sich, und langsam drehte er seinen Kopf, als unser Wagen vorüberglitt. Zaleshoff winkte ihm zu.
    Aber der Träger winkte nicht zurück. Ich sah ihn zwar langsam eine Hand aufheben, als ob er es tun wollte. Aber dann ließ er sie wieder sinken. Er schnippte mit den Fingern und machte kehrt.
    »Verflucht!« sagte Zaleshoff leise. »Jetzt hat er sich entschieden.«

16. Kapitel
    Zwei Herren aus Verona
    W
    as machen wir jetzt? «
    Ich hatte es schon einmal gefragt und schien es immerzu zu fragen. Er aber

Weitere Kostenlose Bücher