Anlass
der Welt. Meine Tochter hat das gern. Sie zeichnet ein wenig und ist unersättlich hinter Modellen her. Das sind ihre Arbeiten« – er deutete auf die Wände. »Ich glaube kaum, daß sie Sie von hier fortläßt, bevor Sie ihr gesessen haben.«
Die Tochter kam herein, ein Tablett in den Händen. Über die Schulter lächelte er ihr zu.
»Simona, ich habe diese Herren schon gewarnt, daß sie für dich werden sitzen müssen.«
Sie setzte das Tablett nieder. »Dazu sind sie bestimmt zu müde. Du hast wohl vergessen, daß sie im Schnee draußen waren.«
Er lächelte uns freundlich an. »Meine Tochter hält immer die Fiktion aufrecht, daß ein Mathematiker notwendigerweise geistesabwesend sein muß. Seit Jahren zanken wir uns darüber. In Wirklichkeit ist nämlich mein Gedächtnis viel besser als ihres. Erzählen Sie mir, Signori, wie es kam, daß Sie bei so einem Wetter unterwegs waren.«
»Wir sind sehr dumm gewesen, fürchte ich«, sagte Zaleshoff bereitwillig. »Wir sind auf einer Ferienwanderung. Wir hatten keinen Schnee erwartet, und als er kam, waren wir natürlich enttäuscht. Wir wollten nicht im Hotel herumsitzen. Jemand erzählte uns von einem Weg, einer alten Straße, die über die Berge führt, und die wollten wir finden. Spät am Nachmittag verirrten wir uns, und seither haben wir die ganze Zeit versucht, Fusine zu finden. Wir waren schon recht besorgt, muß ich gestehen, als wir glücklicherweise Ihr Licht sahen. Ihre Tochter hat uns gesagt, daß die alte Straße nur wenige Meter von hier vorüberführt. So waren wir doch nicht so weit abgeirrt, wie es schien.«
»Aha«, sagte er, »aber in dem Schnee hätten Sie stundenlang herumwandern können, ohne die Straße zu finden.«
Die Frau brachte uns zwei dampfende Teller Suppe mit Gemüse und pasta.
»Sie wollten nach Fusine und dort übernachten«, sagte sie, »aber ich sagte ihnen, es wäre sehr unklug, das zu versuchen, wenn sie den Weg nicht kennen.«
»Natürlich, Simona. Das ist eine verrückte Idee. Sie müssen hier bleiben.« Er wandte sich uns entschuldigend zu. »Das heißt, meine Herren, wenn Sie dazu Lust haben. Leider können wir Ihnen nicht viel Komfort bieten.«
»Wir wären schon mehr als zufrieden, Signore, wenn Sie uns gestatten würden, bis morgen in diesen Stühlen zu sitzen«, sagte Zaleshoff.
Es folgte ein höfliches Hin und Her. Sie waren offenbar durchaus bereit, uns ihre Betten zu überlassen, wenn wir auch nur im entferntesten Miene gemacht hätten, das Opfer anzunehmen. Sie waren, dachte ich bei mir, ein seltsames Paar. In ihrem Verhältnis war etwas, das man nicht gleich verstand. Beide waren liebenswürdig und höflich, aber man wußte nicht, was dahinter steckte. Ich versuchte zu analysieren, was es war, das mich verwirrte. Der Alte zum Beispiel gab sich ganz natürlich – das sah man – und doch verbarg sich hinter seinem Benehmen eine gewisse Reserve. Hin und wieder wanderten seine Augen umher und verloren ihren Glanz, doch hatte man nie das Gefühl, daß seine Gedanken mitwanderten. Es war irgendwie unheimlich. Die Frau war anders. Sie hatte etwas Umsichtiges, Beobachtendes. Während wir unsere Suppe aßen, saß sie ruhig nähend da und sah uns nicht an, aber ich spürte, daß sie genau aufpaßte, was wir sagten, und bereit war, einzugreifen.
»Es ist also abgemacht«, sagte ihr Vater. »Sie bleiben hier, Signori, und wir freuen uns über Ihre Gesellschaft.«
»Das ist außerordentlich liebenswürdig von Ihnen, Signore«, sagte Zaleshoff.
Meines Akzents bewußt, hatte ich meistens geschwiegen und nur hin und wieder meine Zustimmung gebrummt, jetzt mußte ich aber doch etwas sagen. Einigermaßen voreilig bediente ich mich einer etwas blumigen italienischen Redensart: »Seien Sie unserer tiefsten Dankbarkeit versichert, Signore.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Bitte, Signori, nicht der Rede wert.« Und dann, als wollte er das Thema wechseln: »Bitte verzeihen Sie meine Neugier, aber obgleich Ihr Italienisch vorzüglich ist, konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, aus welchem Teil des Landes Sie sein könnten.«
Ich glaube, mit Bestimmtheit sagen zu können, daß die Frau in dem Augenblick ihre Näharbeit unterbrach.
Zaleshoff lachte gemütlich. »Wir haben nie angenommen, Signore, daß unser Italienisch gut genug wäre, um einen Italiener irrezuführen. Wir sind Schweizer – aus dem italienischen Teil der Schweiz. Mein Freund und ich verbringen jedes Jahr unsere Ferien in Italien. Mein Freund heißt
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