Anlass
versuchen.«
»Gut. Trinken Sie Ihren Kaffee aus und gehen wir. Sind es die beiden dort mit den schwarzen Velourshüten?«
»Das sind sie.«
»Dann wollen wir alle gehen und den Aufmarsch ansehen.«
Es war ein schöner Nachmittag. Die Luft war kalt, aber der Himmel klar und blau, und die Sonne malte kräftige schwarze Schatten auf die staubige Straße. Die Gehsteige waren voll Menschen. Es sah aus, als ob alle Mailänder Familien unterwegs wären. Die Männer und Frauen waren in Schwarz, die kleinen Mädchen in Weiß, die Knaben und jungen Burschen trugen die Uniformen der Balilla und Avanguardisti . Händler, die Flaggen und Andenken mit Mussolinis Bild verkauften, machten glänzende Geschäfte. Korsettierte junge Flieger stolzierten zu dreien und vieren umher und schäkerten mit kichernden Fabrikarbeiterinnen. Leere Wände waren mit Schablonenzeichnungen von Mussolinis Kopf im Halbprofil dekoriert. Die caffès längs der Aufmarschroute waren überfüllt mit müde aussehenden Männern und Frauen, den Eltern und Verwandten der Vorbeimarschierenden, die, wie Zaleshoff mir erklärte, schon am frühen Morgen mit Extrazügen gekommen waren. Viele der Frauen trugen schreiende Babys.
Mit einiger Mühe faßten wir auf den Stufen eines Mietshauses am Corso Vittorio Emanuele Posten. Der Gehsteig vor uns war eine kompakte Masse von Zuschauern. Vor ihnen waren längs der Straße, in Abständen von drei Metern, bewaffnete Schwarzhemden aufgestellt, die abwechselnd mit dem Gesicht zur Straße und zu den Häusern standen. An die Mauer gedrängt, nur ein paar Meter von uns entfernt, standen die beiden Detektive, blasse, gleichgültige Männer in mittleren Jahren, offenbar von der regulären Polizei.
Endlich hörte man in der Ferne ein schwaches Geräusch von Beifallsrufen. Der Lärm der Menge sank zu einem erwartungsvollen Gemurmel, bis auf die Schreie eines Babys auf der andern Seite der Straße. Zehn Minuten später kam, begleitet von Händeklatschen, Vivas und Beifallsrufen und unter verwirrendem Fahnenschwenken, der Zug in Sicht, angeführt von einer großen Militärkapelle und einem Tambourmajor mit gewaltigem aufgedrehtem Schnurrbart.
Die Avanguardisti kamen zuerst und hielten sich offenbar für sehr wichtig. Sie trugen Gewehrattrappen, ebenso wie die Balilla , die jüngeren Knaben, die ihnen folgten. Neben den Marschierenden schritten Schwarzhemden als Standartenträger. Es kamen auch mehrere Abteilungen von Wölflingen, das italienische Äquivalent der jungen Pfadfinder, und die beiden Mädchenorganisationen, die Piccole Italiane und die Giovani Italiane . Musikkapellen gab es in Mengen. Das Ganze war sehr eindrucksvoll, und es dauerte mehr als vierzig Minuten, bis sie alle auf den Platz marschiert waren.
Als das Ende des Aufmarsches vorüber war, strömte die Menge an den Posten vorbei über die Straße und drängte sich gegen den Platz.
»Kommen Sie«, murmelte Zaleshoff.
Wir tauchten in die Menge und wurden von ihr gegen den Platz mitgerissen. Über die Schulter blickend sah ich die Detektive, wie sie sich hinter mir her ihren Weg bahnten.
Als wir die Straße erreichten, die zur Scala führt, trennten wir uns von der Menge und gingen langsam auf die Via Margherita zu. Die beiden ließen den Abstand zwischen ihnen und uns etwas größer werden und folgten uns weiter, wobei sie in die Schaufenster blickten und durch Gesten ihre Erleichterung verrieten, daß sie aus der Menge heraus waren.
Zaleshoff grinste. »Die müssen Sie für einen schönen Dussel halten.«
»Warum?«
»Sie denken noch immer, daß Sie noch nichts von ihrer Beschattung wissen.«
»Ich habe auch darauf geachtet, daß sie bei dem Glauben bleiben. Übrigens ist es jeden Tag ein anderes Pärchen. Ich bin schon ganz daran gewöhnt.«
»Nun, umso leichter für uns. Sie wissen jetzt genau, was Sie zu tun haben?«
»Vollkommen.«
Wir hatten das Ende der Straße erreicht. Die Via Margherita gehörte zu den Straßen, die für den Rückmarsch bestimmt waren. Sie war von Schwarzhemden gesäumt im Hinblick auf die von der Piazza zurückströmende Menge. Die Ränder der Gehsteige waren schon von Menschen besetzt, meist Frauen und Kinder, die es vorgezogen hatten, die Zeremonie auf dem Platz für eine möglichst gute Aussicht auf die Zurückkehrenden zu opfern.
Zaleshoff tat, als wollte er in Richtung der Via Alessandro Manzoni einbiegen, weg von der Piazza. Ich blieb stehen und wies auf die wartenden Menschen. Ein paar Augenblicke taten wir so, als
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