Anlass
angeht.«
Er holte tief Atem. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger«, begann er eindrucksvoll, »und …«
»Ich weiß«, warf ich wütend ein, »Sie sind amerikanischer Bürger und denken, wir Menschen guten Willens sollten uns zusammentun, um den Frieden Europas zu retten. Ich weiß. Das habe ich alles schon mal gehört. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage. Vagas hat mich vor Ihnen gewarnt. Sie haben das geahnt, nicht wahr? Und Sie dachten, Sie würden dieser Warnung den Stachel nehmen, indem Sie mich erraten ließen, daß Sie es ahnten. Was Sie aber nicht wissen ist, daß er mir gesagt hat, Sie und Ihre Schwester seien Sowjet-Agenten. Was sagen Sie dazu?«
Er schaute mich an. Seine Kinnlade fiel herab. Dann sah er das Mädchen an. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts. Dann blickte er wieder zu mir. Ich hätte mir beinahe ein triumphierendes Grinsen erlaubt. Zum Glück unterließ ich es, denn plötzlich brüllte er vor Lachen und schlug sich auf die Schenkel. »Sowjet-Agenten!« schrie er hysterisch, »das ist zu komisch.«
Ich wartete teilnahmslos, bis er fertig war.
»Sie haben immer noch meine Frage nicht beantwortet«, sagte ich trocken.
Nun wurde er mit einem Male ernst. »Moment, Marlow, bevor Sie voreilige Schlußfolgerungen ziehen, überlegen Sie doch mal. Was sollte ich, ein geachteter Amerikaner, denn …«
Angewidert winkte ich ab. »Schon gut, schon gut.«
»Und …«
»Lassen wir das. Aber« – ich drohte ihm mit dem Finger – »machen Sie mir keinen Vorwurf, wenn ich meine eigenen Schlüsse ziehe.«
»Warum sollten wir Ihnen etwas vorwerfen, Marlow?« fragte das Mädchen liebenswürdig.
Irgendwie war mir die Frage peinlich. Ich ließ das Thema fallen. Aber ich nahm mir vor, es wieder anzuschneiden, nur bot sich nicht bald Gelegenheit dazu. Drei Tage später bekam ich zu Zaleshoffs überschwenglicher Freude den Brief von Vagas.
Am Sonntagnachmittag um halb drei verließ ich das Hotel Parigi, wie gewöhnlich gefolgt von zwei unauffälligen Männern, und traf Zaleshoff in einem caffè in der Nahe des Castello. Tamara war nicht mit ihm. Er bestellte für mich Kaffee und schaute auf die Uhr.
»Wir haben ungefähr zehn Minuten, bis wir anfangen müssen.«
»Was anfangen?«
»Ihre beiden Schatten loszuwerden.«
»Aber ich werde Vagas doch erst gegen elf Uhr treffen.«
»Trotzdem fangen wir schon am Nachmittag mit der Arbeit an.«
»Schauen Sie, Zaleshoff«, protestierte ich gereizt, »wäre es nicht endlich an der Zeit, mir zu sagen, was eigentlich los ist?«
»Das wollte ich eben tun. Hören Sie zu. Sie müssen diese beiden Burschen irgendwie loswerden, und die lassen sich nicht durch einen einfachen Trick, wie ein Hotel mit zwei Ausgängen, abschütteln. Ich hab sie bei der Arbeit beobachtet. Sie kennen ihr Geschäft. Außerdem wüßten sie sofort, daß man was vor hat, sobald sie merken, daß man sie loswerden will, und das ist dann beinahe so arg, als wenn sie wüßten, was man vor hat. Das können wir nicht brauchen. Man muß sie zufällig verlieren – wenigstens muß es wie Zufall aussehen. Dazu brauchen wir den Aufmarsch.«
»Was für einen Aufmarsch?«
»Faschistische Jugendbewegung – die Balilla und Avanguardisti – militärische Pfadfinder. Sie marschieren von der Stazione Centrale aus mit Musikkapellen und einer Abteilung Schwarzhemden, alles in allem etwa zehntausend. Sie kommen aus Cremona, Brescia, Verona und mehreren anderen Orten mit Extrazügen. Dann marschieren sie zur Piazza Duomo und hören einen faschistischen Bonzen darüber reden, was für eine feine Sache der Krieg ist. Dann singen sie die Giovinezza und marschieren wieder zurück. Während sie zurückmarschieren, müssen Sie Ihren Trick ausführen.«
»Was für einen Trick? Sagen Sie mir nicht, daß ich mich als italienischen Pfadfinder verkleiden und im Aufmarsch mitgehen muß, denn das tue ich nicht!«
»Die Sache ist ernst.«
»Pardon.«
Er beugte sich feierlich vor. »Haben Sie je eine Straße zu überqueren versucht, wenn eine große Prozession im Gange war?«
»Ja.«
»Sind Sie hinübergekommen?«
»Nein.«
»Das ist’s. Also nun passen Sie auf.«
Fünf Minuten lang redete er ununterbrochen. Als er fertig war, sah ich ihn zweifelnd an.
»Vielleicht geht es so«, gab ich zu.
»Es wird sicher gehen. Man muß nur den richtigen Zeitpunkt abwarten.«
»Wenn sie mich aber nicht durchlassen?«
»Wenn Tamara ihre Rolle gut spielt, wird es gehen.«
»Also gut, ich werd’s
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