Anlass
ob wir darüber debattierten, dann schaute Zaleshoff auf seine Uhr, schüttelte mir die Hand und ging auf die Scala zu. Ich tat, als zögerte ich, und faßte dann einen Entschluß. Am Rinnstein hinter einem Schwarzhemd war ein Platz frei. Dort stellte ich mich hin und schickte mich an, zu warten. Zur Seite schielend, konnte ich sehen, daß sich die beiden Detektive in ein paar Meter Entfernung bei dem Zeitungskiosk aufgestellt hatten. Soweit ging die Sache verabredungsgemäß vonstatten. Der Eindruck, den wir gemacht hatten, war vollkommen natürlich. Zaleshoff mußte wirklich den Anschein erweckt haben, als wäre er verabredet. Ich wiederum wollte offenbar noch einmal den Aufmarsch sehen. Ich bemerkte mit Genugtuung, daß die Detektive schrecklich gelangweilt aussahen.
Ich stand nicht mehr als hundert Meter von der Piazza Duomo entfernt. Halbwegs war ein Cordon von Polizisten mit pelzgerändertem Dreispitz und Säbel vor dem Zugang aufgestellt. Dahinter stand eine Menge, die sich bald in zwei Gruppen aufspalten würde. Die eine Hälfte würde sich auf dem Gehsteig hinter mir durchdrängen. Vom Platz her konnte man einzelne Sätze hören, aus einem Lautsprecher gebellt, unterbrochen vom Beifall, der mir von meinem Standort aus vorkam wie das rauhe Brausen des Meeres, wenn es über einen Kieselstrand zurückfließt.
Die Balilla und die Avanguardisti von heute werden die natürlichen Erben des Faschismus sein . Beifall. Italien verdient es , die größte und stärkste Nation der Welt zu sein . Noch lauterer Beifall. Italien wird die größte und stärkste Nation der Welt werden – der Duce will es . Gebrüll. Die jugendlichen Rekruten der faschistischen Revolution empfangen das Gewehr, wie die Jugend des alten Rom die Toga virilis empfangen hat – in einer der schönsten und bedeutungsvollsten Feiern der Partei – der Krieg ist für den wahren Sohn des Faschismus die Erfüllung seiner Vaterlandsliebe. Bildete ich es mir nur ein oder war der Applaus, der hierauf folgte, etwas weniger laut? Jugend sei stark!
Die Lautsprecher brüllten weiter. Endlich war es vorüber. Die vereinigten Musikkapellen intonierten die Giovinezza. Die riesige Menge sang mit.
Giovinezza, Giovinezza
Primavera di bellezza.
Nella vita e nell’ebrezza
Il tuo canto squillerà.
Per Benito Mussolini, eja, eja, alala.
Der Polizeicordon begann gegen die Menge vorzurücken, um die Straße für den Zug zu säubern. Es war beinahe an der Zeit. Ich blickte über die Straße. Nach dem Plan sollte jetzt Tamara auf der andern Seite sein. Es war möglich, daß sie irgendwo in der Menge eingekeilt war. Gerade fing ich an, unruhig zu werden, als ich sie sah.
Die Menge auf der anderen Seite der Straße war schon dichter geworden. Tamara war zwischen einem großen, dicken Mann, der ein Fähnchen schwenkte, und einer älteren Frau in Trauer eingezwängt. Ich bemerkte, daß sie mich gesehen hatte, denn sie blickte sehr angelegentlich in die Richtung des Platzes. Ich wartete noch, während mein Herz etwas rascher schlug als gewöhnlich.
Es war der Polizei gelungen, die Menge zu teilen, und ich konnte jetzt den Platz sehen, wo sich die vorderste Kapelle für den Marsch zum Bahnhof aufstellte. Ich schielte über meine Schulter. Die Menge hinter mir war jetzt zehn Reihen tief. Meine beiden Beschatter waren beim Kiosk eingezwängt. Einer von ihnen warf einen gleichmütigen Blick in meine Richtung. Es gelang mir gerade noch, seinem Blick auszuweichen, und ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Milizsoldaten zu, hinter dem ich stand. Soweit ich das abschätzen konnte, war er etwa einundzwanzig Jahre alt, aber ich konnte nicht genug von seinem Gesicht sehen, um mir eine Meinung über seine Gutmütigkeit zu bilden. Ich mußte das Risiko auf mich nehmen.
Schließlich intonierte die Musikkapelle das erste Stück und rückte langsam vor. Jetzt war die Zeit gekommen. Ich begann fieberhaft den einen einfachen Satz zu proben, den ich zu sagen hatte. Die Leute schrien Hurra. Die erste Abteilung Avanguardisti scherte aus und stellte sich hinter der Kapelle in Reih und Glied. Der Tambourmajor warf sich in die Brust, Beine strafften sich zum römischen Stechschritt. Er warf seinen Taktstock in die Luft, fing ihn geschickt wieder auf und schwenkte ihn. Die Kapelle setzte sich in Bewegung.
Jetzt waren sie kaum fünfzig Meter von mir entfernt. Aufgeregt wartete ich auf Tamaras Signal. Aber es kam nicht. Dann erinnerte ich mich an meine Rolle und begann ihr aufgeregt
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