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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Ihrer Schwester telefonieren wollen, ehe wir gehen, tun Sie das lieber gleich«, sagte ich langsam.
    Ich starrte auf meinen leeren Teller. Als ich seine Hand auf meiner Schulter fühlte, fuhr ich auf.
    »Gratuliere, mein Lieber!« sagte er herzlich.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich habe keine Wahl.«
    »Nein«, sagte er leise, »Sie haben keine Wahl.«

14. Kapitel
    Querfeldein
    Z
    aleshoff blieb nicht lange aus.
    »Es werden fünftausend Lire für uns in Udine liegen, wenn wir hinkommen«, sagte er, als er zurückkam.
    »Aber was ist mit Ihrer Schwester?«
    »Sie hat noch einiges zu ordnen und fährt dann nach Belgrad, um Vagas im Auge zu behalten. Sie wird uns dort treffen.«
    »Sie haben wirklich alles wunderbar geplant«, sagte ich nicht ohne Bitterkeit.
    »Natürlich. Es war aber auch nötig.«
    Er bezahlte die Rechnung, und wir brachen auf.
    Wir gingen etwa eine Viertelmeile in der Richtung, aus der wir gekommen waren, dann bogen wir nach Nordosten ab.
    Es war eine kalte, bewölkte Nacht. Ich trug einen dünnen Mantel und hatte keinen Schal, aber das Tempo, das Zaleshoff einschlug, ersetzte mir die warme Kleidung.
    Am Anfang wechselten wir noch ein paar belanglose Worte, bald aber verfielen wir in Schweigen. Unsere Schritte knirschten im Takt auf der kiesbestreuten Straße. Mein Hirn schien gefühllos wie meine Finger. Mein Vorrat an Gefühlen war total erschöpft. Alles, was ich im Augenblick fühlte, war dumpfe, unvernünftige Auflehnung gegen Zaleshoff. Er war für alles verantwortlich. Wäre er nicht gewesen, so schliefe ich jetzt bequem in meinem Zimmer im Parigi. Es war absurd, aber plötzlich dachte ich an mein Lieblingshemd, das ich dort zurückgelassen hatte. Das würde ich nun nie wiedersehen! Ich versuchte mich zu erinnern, in welchem Londoner Geschäft ich es gekauft hatte. Vielleicht hatten sie keine solchen Hemden mehr. Auch daran war nur Zaleshoff schuld. Vergeblich sagte ich mir, daß Zaleshoff nur Vorschläge gemacht hatte und daß, wofür ich jetzt bezahlte, der Anfall von Großtuerei und Wut war, der mich dazu verleitet hatte, an jenem Abend aus Zaleshoffs Büro Vagas anzurufen. Zaleshoff war der Schurke in diesem Stück.
    Von der Seite schielte ich zu ihm hin. Ich konnte seine verschwommene Silhouette sehen, wie er, die Hände in den Taschen, mit eingezogenen Schultern neben mir hertrottete. Ich fragte mich, ob er meine Abneigung und mein Mißtrauen spürte. Vermutlich. Ihm entging nicht leicht etwas.
    Und dann änderten sich mit einem Schlag meine Gefühle. Es war nicht wahr, daß ich ihn nicht mochte, man konnte nichts gegen ihn haben. Am liebsten hätte ich meine Hand ausgestreckt und seinen Arm geschüttelt, um ihm zu zeigen, daß ich ihm nicht böse war. Kühl und sachlich fragte ich mich, ob mir wohl Zaleshoff auch geholfen hätte, wenn Vagas meinen zweiten Bericht schon in den Händen gehabt hätte, oder er ihn ihm ohne meine Hilfe hätte zuspielen können. Vermutlich nicht. Dann hätte er mich wohl meinem Schicksal überlassen. Zaleshoff war ein Sowjet-Agent – das stand für mich eindeutig fest – und er tat ganz einfach seine Arbeit, er ging den Geschäften seiner seltsamen Regierung nach. Genau genommen war auch ich ein Diener dieser Regierung. Merkwürdig, ich fand diesen Gedanken nur komisch. Vagas’ Bemerkung, ich sei ein Diener seines Staates, hatte mich richtiggehend angewidert. Vielleicht kam das daher, daß ich Zaleshoff mochte und Vagas nicht, vielleicht weil der eine mich bezahlt und der andere Bezahlung nur in Aussicht gestellt hatte. Dennoch war es komisch. Für keines der beiden Länder spürte ich eine spezielle Zuneigung. Ich kannte auch beide nicht. Zu Deutschland fielen mir Paraden ein, Hakenkreuzfahnen an hohen Masten, Lautsprecher, dicke Feldmarschalle, Soldaten mit Stahlhelmen im Stechschritt, Konzentrationslager. Wenn ich an Rußland dachte, sah ich die düstern, dummen Romanows, den Winterpalast, Kosaken, in Terror dahinflutende Menschenmengen, weihrauchschwingende Popen unter Baldachinen, Lenin und Stalin, im Wind wogende Kornfelder, das Lubianka Gefängnis. Ja, es war schon komisch. Plötzlich fiel mir auf, daß wir langsamer gingen. Dann räusperte sich Zaleshoff und murmelte, daß wir nach rechts gehen müßten. Wir passierten die Gablung der Straße und gingen wieder schneller. Einen Augenblick schien der Mond durch einen Spalt in den treibenden Wolken, dann verschwand er wieder. In der Dunkelheit ging das Schweigen mit uns wie ein Geist.
    Im Osten wurde

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