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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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der Himmel blaß und dunstig. Die Bäume und eine Reihe von Masten hoben sich von ihm in einer Silhouette ab wie die Szenerie in einem schwach erleuchteten Zyklorama. Der Himmel wurde gelblich. Langsam verwandelten sich die Silhouetten in dreidimensionale Gebilde. Eine leichte Brise kam auf.
    Ich schaute auf meine Uhr. Es war halb sechs. Wir waren sechs Stunden ununterbrochen gegangen. Ich hatte nur leichte Halbschuhe an, und die Wege waren holprig gewesen. Meine Füße waren wund und geschwollen. Meine Augen schmerzten, und ich fühlte eine Schwäche in den Knien. Zaleshoff sah mich auf die Uhr blicken.
    »Wie spät ist es?«
    Ich sagte es ihm. Es war das erste, was wir seit Stunden miteinander sprachen.
    »Wie wär’s mit einem Cognac und einer Zigarette?«
    »Ich könnte beides vertragen.«
    Im Halbdunkel konnte ich erkennen, daß wir auf einem schmalen Weg zwischen Brachfeldern gingen. Das Land sah ziemlich genauso aus wie die Gegend, wo wir vom Zug abgesprungen waren. Wir setzten uns auf einen Steinhaufen am Weg. Zaleshoff zog den Schnaps hervor, und wir tranken etwas aus der Flasche. Dann zündeten wir uns Zigaretten an.
    »Wo sind wir?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht. Etwa vor einem Kilometer sind wir an einem Wegweiser vorbeigekommen, aber in der Dunkelheit konnte ich nichts lesen. Wie fühlen Sie sich?«
    »Nicht schlecht? Und Sie?«
    »Müde. Wir müssen ungefähr fünfunddreißig Kilometer gemacht haben. Nicht schlecht für den Anfang. Es dürfte ein Dorf oder irgendein kleiner Ort vor uns liegen. Wir wollen noch ein bißchen weiter vorstoßen. Dann können Sie sich irgendwo verstecken, während ich etwas zum Essen auftreibe. Wir müssen etwas essen.«
    »Ja, und schlafen müssen wir auch.«
    »Daran werden wir auch denken.«
    Wir rauchten unsere Zigaretten zu Ende und brachen wieder auf. Der Cognac hatte mir gut getan, aber meine Füße waren nach der Rast schlimmer als vorher, und ich begann zu hinken. In der Ferne hörte man einen Hahn krähen.
    Wir gingen anderthalb Stunden weiter. Dann kamen wir an eine Strecke Weges, die von einem Birkenwäldchen eingesäumt war. Zaleshoff ging langsamer.
    »Mir scheint, es wäre kein schlechter Gedanke, wenn Sie hier bleiben. Wir sind sicher nahe an einer Ortschaft, und später gibt es vielleicht keine so gute Deckung mehr. Nehmen Sie lieber den Cognac. Es wird Ihnen vielleicht kalt werden, und ich mag ihn nicht mitnehmen. Vielleicht dauert es einige Zeit, bis ich zurückkomme. Aber gehen Sie nicht von hier weg, und zeigen Sie sich nicht in der Nähe des Weges. Es werden vermutlich bald Landarbeiter vorbeikommen. Haben Sie genug Zigaretten?«
    »Ja.«
    »Also gut. Auf Wiedersehen.«
    Er ging auf der Straße weiter. Ich schaute ihm nach, bis er um eine Biegung verschwand, und bahnte mir einen Weg durch die jungen Bäume zu einem von Büschen gedeckten Platz, etwa fünfundzwanzig Meter von der Straße. Zufrieden setzte ich mich nieder und wartete.
    Zaleshoff blieb fast zwei Stunden fort. Die Sonne war aufgegangen und schien durch die Zweige, aber es war noch kalt. Bald gab ich das Sitzen auf dem Boden auf und ging wie eine Wache zwischen zwei Bäumen auf und ab. Fünfzigmal schaute ich auf die Uhr und fand, daß die Zeiger kaum weitergegangen waren. Einmal ging ein Mann pfeifend die Straße entlang. Das Herz schlug mir bis zum Hals bis er vorüber war. Dann patrouillierte ich weiter auf und ab. Nach einer Weile trank ich noch etwas Cognac. Mein Magen war leer, und der Alkohol verursachte mir Übelkeit. Ich fragte mich, ob Zaleshoff vielleicht verhaftet worden sei, bis mir einfiel, daß dafür ja kein Grund bestand. Dann überlegte ich, er könnte sein Anerbieten, mich aus dem Lande zu bringen, bereut und sich an der nächsten Eisenbahnstation in den Zug nach Mailand gesetzt haben. Aber das war auch absurd. Vermutlich frühstückte er eben gut mit frischen warmen Semmeln, einer Menge eiskalter Butter und glühendheißem Kaffee. Plötzlich spürte ich einen Wolfshunger. Ich konnte beinahe den heißen Geruch dieser Semmeln spüren. Das Schwein! Mindestens etwas zu essen hätte er mir bringen können. Dann dachte ich an Claire. Ich mußte ihr irgendwie mitteilen, was geschehen war. Und auch Pelcher. Vielleicht konnte ich ihnen telegrafieren. Nein, das würde nicht gehen. Die italienischen Behörden könnten das Telegramm bis zu seinem Aufgabeort verfolgen und herausfinden, wo wir waren. Ich mußte vorsichtig und besonnen sein. Ich konnte beiden schreiben. Das würde

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