Anleitung zum Müßiggang
der ungläubige Mr. Plod grübelt: »Wenn ich doch wüsste, wie Sie zu Ihren Lösungen kommen«, antwortet Holmes: »Auf diese bin ich gekommen, indem ich auf fünf Kissen saß und eine Unze Shag rauchte.«
Im siebzehnten Jahrhundert war René Descartes ähnlich nach Nichtstun süchtig. Ja, es stand vollkommen im Zentrum seiner Philosophie. Als junger Student bei den Jesuiten war er absolut außerstande, morgens aufzustehen. Sie begossen ihn eimerweise mit kaltem Wasser, und er drehte sich herum und schlief weiter. Dann erhielt er auf Grund seiner offenkundigen Genialität die Sondererlaubnis, spät aufstehen zu dürfen. Das war sein modus operandi , denn natürlich dachte er, wenn er im Bett lag – er löste mathematische Rätsel. Man erkennt sofort, wie jemand, der so untätig war, zu dem Schluss kommen konnte, dass Körper und Geist eigenständige Gebilde sind. Faulheit brachte die kartesianische Dualität hervor. Für ihn war im Bett zu liegen und nachzudenken die Quintessenz des Menschseins: Cogito ergo sum , oder mit anderen Worten: Ich liege denkend im Bett, also bin ich.
Denn im Liegen kommen die Ideen. »Ein Schriftsteller könnte in dieser Stellung mehr Einfälle für seine Artikel oder Romane bekommen, als wenn er morgens und nachmittags beharrlich an seinem Schreibtisch sitzt«, schreibt Lin Yutang in seinem Essay »On Lying in Bed«. »Denn dort, befreit von Telefonanrufen, wohlmeinenden Besuchern und den üblichen Trivialitäten des täglichen Lebens, sieht er das Leben gleichsam in einem Spiegel oder auf einer Perlleinwand, und ein Glorienschein poetischer Ideen fällt auf die Welt der Wirklichkeit und durchdringt sie mit magischer Schönheit.«
Untätigkeit als Zeitverschwendung zu begreifen ist ein schädlicher Gedanke, der von ihren geistlosen Gegnern verbreitet wird. Die Tatsache, dass Müßiggang äußerst produktiv sein kann, wird verdrängt. Musiker werden als Bummelanten bezeichnet, Schriftsteller als undankbare Egoisten, Künstler als gefährlich. Robert Louis Stevenson brachte das Paradox in »An Apology for Idlers« (1885) folgendermaßen zum Ausdruck: »Müßiggang ... besteht nicht in Nichtstun, sondern darin, dass sehr viel getan wird, wovon in den dogmatischen Formelsammlungen der herrschenden Klasse keine Notiz genommen wird.« Lange Perioden der Trägheit, Untätigkeit und des An-die-Decke-Starrens braucht jeder kreative Mensch, um auf Ideen zu kommen.
Walter Benjamin, einer der großen literarischen Europa-Bummelanten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, war sich dieses Paradoxes bewusst und zitierte in der gigantischen Materialsammlung zu seinem Buch Das Passagen-Werk einen Lieblingssatz aus dem »Grand dictionnaire« von Larousse: »Wenn der Künstler oder Dichter am wenigsten mit seinem Werk beschäftigt zu sein scheint, ist er oft am innigsten darin vertieft.« Lin Yutang erzählt uns, dass der chinesische Gelehrte Ouyang Hsiu sich zu drei »Aufs« bekannte, wo er am besten schreiben konnte: »Auf dem Kissen, auf dem Pferd und auf der Toilette.« Aber erzähl deinem Chef mal, dass du erst zu Mittag ins Büro gekommen bist, weil du dir ein paar tolle neue Ideen für die Produktentwicklung ausgedacht hast, er wird wahrscheinlich nicht sehr viel Verständnis haben.
Um zu verhindern, dass wir zu viel denken, genau deswegen zwingt uns die Gesellschaft aufzustehen. 1993 habe ich den inzwischen verstorbenen Radikalphilosophen und Drogenforscher Terence McKenna interviewt und ihn gefragt, warum uns die Gesellschaft nicht erlaubt, untätiger zu sein. Er antwortete:
Ich denke, der Grund, weshalb wir die Gesellschaft nicht so organisieren, kann in dem Sprichwort zusammengefasst werden: »Müßiggang ist aller Laster Anfang.« Mit anderen Worten: Institutionen fürchten untätige Bevölkerungen, denn ein Müßiggänger ist ein Denker, und Denker sind in den meisten gesellschaftlichen Situationen keine willkommene Zutat. Denker werden zu Nörglern, das ist fast immer ein Synonym für untätig: »nörglerisch«. Im Grunde werden wir alle sehr auf Trab gehalten ... Unter keinen Umständen darf man in aller Ruhe den Inhalt seines eigenen Geistes inspizieren. Freud nannte die Introspektion »morbid« – ungesund, introvertiert, antisozial, möglicherweise neurotisch, potentiell pathologisch.
Introspektion könnte zu folgender Schauerlichkeit führen: zur Erkenntnis der Wahrheit, zu einem klaren Bild von den Schrecken unserer kaputten, disharmonischen Welt. Der Autor Will Self, der meint,
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