Anleitung zum Müßiggang
Mittagsstunde ruhten sie sich aus; viele genossen ihre Siesta, andere verbrachten ihre Zeit essend und trinkend in den Werkstätten, die häufig zu Schankstuben wurden, in denen die Lehrlinge als Kellner dienten; wieder andere vergnügten sich beim Murmelspiel oder auf der Kegelbahn. Drei oder vier Stunden wurden so dem »Spiel« gewidmet, und dann ging’s wieder an die Arbeit ...
Wo immer Menschen die Gelegenheit zu einem Mittagsschläfchen gegeben wird, wird es auch eingelegt. Nur wenn das Nickerchen nicht erlaubt ist, machen wir es nicht. In seinem Buch Sleep Thieves (1996), einer eloquenten Forderung nach mehr Schlaf insgesamt, berichtet der bekannte Wissenschaftler Stanley Coren von einem Experiment, bei dem es Mitgliedern einer Versuchsgruppe überlassen wurde, wie und wann sie schlafen wollten. Nach etwa einer Woche machten die Versuchspersonen täglich ein- bis zweistündige Nickerchen. Coren behauptet weiter, dass Personen, denen Schlaf nicht verweigert wird, halb so oft Infektionen erleiden wie die, die unter »Schlafschulden« leiden, wie er das nennt.
Daher besteht wenig Zweifel, dass das Nickerchen ein natürlicher Bestandteil unseres Tageszyklus oder der »zirkadianen Rhythmen« ist (von lateinisch circa = rundum und dies = Tag). Alle unsere Zyklen sind unterschiedlich. Aber schon in der Schulzeit wird ein Mittagsschläfchen als nutzlose Zeitverschwendung kritisiert und uns zugeredet, an zentralisierte Stundenpläne zu glauben. Diese Anti-Nickerchen-Politik bringt hingebungsvolle Mittagsschläfer hervor, die es vorziehen, dem Verlangen ihres Körpers nach einer Pause nicht zu widerstehen, und zu allen möglichen Tricks greifen, um sich mal kurz »die Augen zu wärmen«. Ich selber fand es immer geradezu unmöglich, die Doppelstunde Mathe am Dienstagnachmittag durchzuhalten, ohne einzuschlafen, was ich dann auch tat, das Kinn auf meine Hand gebettet, während mein Ellbogen auf dem Tisch ruhte. In dieser Haltung konnte ich friedlich wegdösen, bis es der Lehrer irgendwann merkte und mit der Hand heftig auf meinen Tisch schlug, um mich zu wecken. Ich nehme an, er empfand meine Schläfrigkeit als Beleidigung seiner Unterrichtsmethoden; ich betone, es war nicht seine Schuld. Hätte die Schule eine mittägliche Ruhepause in den Tag eingebaut, dann hätte ich sie nicht während des Unterrichts einlegen müssen. Dasselbe passierte mir, als ich im Büro arbeitete. Wenn ich so dasaß, das Kinn wieder in die Hand gebettet, Ellbogen auf dem Tisch, das Gesicht durch den Computer abgeschirmt, hätte ein Bürovorsteher sehr genau hinsehen müssen, um zu bemerken, dass meine Augen geschlossen waren und ich irgendwo auf einer Wolke schwebte.
Eine weitere Technik für heimliches Dösen hat mir ein kleiner Büroangestellter mitgeteilt, der die Kunst des Nickerchens in der Toilettenkabine perfektioniert hatte. Er setzte sich quer auf den Sitz, legte den Kopf auf den Toilettenpapierhalter, wobei die Papierrolle als Kissen diente, und stemmte die Füße gegen die Wand auf der anderen Seite. In dieser Haltung, sagte er, konnte er fünfzehn oder zwanzig Minuten in aller Ruhe schlummern.
Es ist schrecklich, dass wir uns unserer Nickerchen schämen müssen. Sollten nicht vielmehr alle Büros ihren Angestellten day bed genannte Liegesofas zur Verfügung stellen? Das day bed ist eines der wenigen positiven Erbstücke des viktorianischen Zeitalters. Allein schon sein Name ist eine köstliche Idee, geradezu unanständig: ein Bett für den Tag! Als ich ganztags in einem Büro arbeitete und wir unsere Zimmer möblierten, machte ich den Chefs den Vorschlag, sie sollten nicht 200 Pfund für eines dieser charakterlosen leuchtendgrünen kastenförmigen Sofas ausgeben, sondern mir die 200 Pfund geben: ich würde auf den Flohmarkt gehen und ein hübsches viktorianisches day bed besorgen, auf das wir uns bei Konferenzen setzen und zu Nickerchen legen könnten. Sicher überrascht es dich nicht, zu hören, dass ich diese spezielle Schlacht verloren habe und wir die grünen Würfel immer erst umbauen mussten, wenn wir Lust auf ein Nickerchen hatten.
Vor kurzem hat die in China weit verbreitete Sitte des hsiuhsi , des Nachmittagsschlafs, von westlichen Arbeitszeitplänen eine derbe Abfuhr bekommen. »Unseren Geschäftsleuten wird in Ihrem Land immer wieder gesagt, dass Schlafen am Nachmittag ein Zeichen von Faulheit ist«, hörte kürzlich ein Reisender. »Wir sind nicht faul und wollen auch nicht so erscheinen, und so haben die meisten
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