Anleitung zum Müßiggang
Die amerikanische Temperenzlerbewegung, die von Kirchen und Unternehmen unterstützt wurde, ist offiziell 1826 entstanden und nahm im Laufe der Jahrzehnte Einfluss auf die Bundespolitik zum Thema Kampf gegen den Alkohol, die natürlich in der Prohibition von 1919 bis 1933 kulminierte.
Die Geschichte der Schankgesetze in England kann man als Geschichte eines Bürgerkriegs zwischen den Kräften des Fleißes und denen der Faulheit sehen. Übermäßige Trunkenheit und Kater behindern die Einhaltung strikter Arbeitszeitpläne, wie sie von der Industriellen Revolution eingeführt wurden. Selbst heute obsiegt harte Arbeit über die Faulheit: Die Schankgesetze in England zwingen Pubs, wochentags und samstags abends um 11 und sonntags um halb 11 zu schließen. Das verstärkt das Gefühl der Sonntagsmelancholie, das allen Schulkindern und Arbeitnehmern vertraut ist: Am Sonntag wird von uns erwartet, dass wir früh zu Bett gehen, um desto besser zu schlafen und am Montagmorgen desto besser unseren Pflichten gegenüber den Arbeitgebern nachkommen zu können.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veranlasste die Behörden augenblicklich, alle Anstrengungen zu unternehmen, unsere Trinkgewohnheiten in den Griff zu bekommen. Es folgt eine kurze Geschichte der Schankgesetze, die uns die Kampagne für »Real Ale« zur Verfügung gestellt hat, die für die Abschaffung des Gesetzes kämpft:
Im Oktober 1914 wurde die Polizeistunde in Londoner Kneipen von nachts halb eins auf 22 Uhr vorverlegt. Im Jahr 1915 wurden die Öffnungszeiten von 16 bis 17 Stunden (19,5 Stunden in London) auf 5,5 Stunden reduziert, und Polizeistunde war abends um 9 bis halb 10.1916 übernahm die Regierung durch die Zentrale Kontrollbehörde (Alkoholhandel) die vier Brauereien in Carlisle sowie 235 Pubs in der Region Carlisle, Gretna und Annan. Im Jahr darauf wurden Pubs in der Londoner Region Enfield Lock und im schottischen Invergordon übernommen. In all diesen Regionen bestand die Sorge, dass die Produktivität der Munitionsfabriken durch Trunkenheit unter den Arbeitern gefährdet werden könnte.
Die meiste Zeit des letzten Jahrhunderts war dieses große Vergnügen, den ganzen Nachmittag im Pub zu sitzen, gesetzlich nicht erlaubt. Das war der Grund dafür, dass private Zechclubs entstanden. Den Pubs ist es inzwischen wieder gestattet, nachmittags zu öffnen, aber das reicht nicht. Sollten Öffnungszeiten nicht von den Gastwirten nach individuellem Gutdünken festgelegt werden? Die Polizeistunde nachts um 11 verursacht zig soziale Probleme. Weil alle Pubs zur selben Minute schließen, erlebt man das in keinem anderen Land der Welt bekannte Phänomen, dass genau zur selben Zeit Millionen von Betrunkenen auf die Straßen strömen, vollgetankt und zu allem bereit, enttäuscht, dass sie gezwungen wurden, mit dem Trinken aufzuhören. Und so streiten sie, grölen und richten Schäden an, um ihre überschüssige Energie loszuwerden. Wenn sie noch ein, zwei weitere Stunden im Pub hätten bleiben dürfen, wären sie alle nach und nach kleckerweise ruhig und friedlich nach Hause gezogen. Niemand mag es, am Samstagabend um Viertel nach elf zu Fuß durch eine x-beliebige englische Stadt zu gehen – es ist einfach gruselig. Und England ist das einzige Land auf der Welt mit Schankgesetzen. Warum? fragt man sich. Wohnt vielleicht Selbsthass in der englischen Brust, mangelnde Selbstverantwortung, ein kindisches, verantwortungsloses Wesen, ja ein masochistischer Wunsch, gesagt zu bekommen, was man tun soll?
Ein weiterer Angriff auf die Kneipenkultur ist in letzter Zeit in Form der Schickimickibar erfolgt. Als ich Ende zwanzig war, zogen mich diese schicken, weltstädtischen Bars kurz in ihren Bann, bevor mir klar wurde, dass sie in Wirklichkeit die Feinde des Vergnügens sind. Während der Pub für die altmodischen Halbliterbiere, für Unterhaltung, flackerndes Feuer, Wärme, Holz und Behaglichkeit steht, geht es in den Bars darum, anzugeben und an vorderster Front der fashionablen Gesellschaft zu stehen. Und dort zahlt man eben dann £ 7,50 für einen Gin Tonic. Die Mode schnappte sich die Trinkkultur und gestaltete für das privilegierte Establishment einen Ort zum Gesehenwerden, nicht etwa zum Reden und Denken. Tatsächlich ist es in den meisten dieser Lokale praktisch unmöglich zu reden oder zu denken, da die wummernde Technomusik in ohrenbetäubender Lautstärke läuft. Was sich von draußen wie ein »Stimmengewirr« anhört, ist in Wahrheit eine Ansammlung
Weitere Kostenlose Bücher