Ann Pearlman
beruflichen Ehre. Nein, er hat Angst, dass ein anderer Mann mich ihm wegnimmt. Mich, Tara. Nicht Li’l Key. Ich bin es, die zählt, ich bin wichtig für ihn, und er wird nicht so tun, als wäre es anders. Um Li’l Key geht es für ihn erst an zweiter Stelle.
»Glaubst du, ich bin wie mein Vater?«, frage ich, obwohl ich an den Worten fast ersticke.
»Glaubst du das?« Eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten ist eigentlich Allies Strategie.
»Ich weiß es nicht.«
»Wahrscheinlich musst du das selbst herausfinden. Aber ich hatte bei deinem Vater nie das Gefühl, dass er sich so bemüht wie du. Ihm ging es um Eroberungen. Dir geht es um deine Musik.«
»Ja, genau. Ich will meine Musik und meine Familie.«
»Tara, das hast du beides schon.«
Dann reden wir eine Weile über Sky, und Mom erzählt mir von Jim. Und ich sage ihr, wie süß Rachel und Levy zusammen sind.
»So gut haben wir uns schon lange nicht mehr unterhalten, Mom. Eigentlich seit ich von zu Hause weg bin.«
»Das kommt, weil du mir eine Chance gibst.«
Ich gebe ihr eine Chance? Sie fragt nie nach mir, denke ich, aber dann wären wir wieder dort, wo wir angefangen haben, deshalb erwidere ich einfach: »Ich liebe dich.«
Als wir aufgelegt haben, kommt mir der Gedanke, dass sie Sky ja auch nicht fragt, wie es ihr geht. Vielleicht erzählt Sky ihr das ungefragt, hat aber seit Troys Tod damit aufgehört, und deshalb ruft Mom jetzt mich an.
Ich stopfe mein Handy in die Tasche meiner Jeans, laufe noch ein bisschen über den Parkplatz und schaue mir die schicken neuen Hochhäuser der City an. Dabei denke ich: Ich soll stark sein? Ich?
Aber vielleicht bin ich es ja.
Ich suche Aaron, aber er ist von Fans belagert. Einer Frau gibt er ein Autogramm auf die Schulter, damit sie es sich später als Tattoo stechen lassen kann.
Ich sage nichts, sondern gehe zum Bus und ziehe mich für die Show um. Dann lese ich Levy Hiawatha vor, kitzle seine Wange mit Schmetterlingsküssen, singe I’ll miss myself für ihn und danach ein kleines Duett mit ihm. Er singt sein La di la di, ein Stück allein, ein Stück mit mir, und schüttelt gleich noch eine Extrastrophe aus dem Ärmel.
»Du bist so lustig, mein süßer kleiner Levy«, lache ich.
»Ich werde dich vermissen, Mommy.«
»Ich singe für dich. Für uns. Für die Liebe«, erkläre ich ihm.
Und genauso ist es.
Aaron bleibt auf Distanz, aber aus dem Augenwinkel beobachtet er alles, was ich tue. Am liebsten möchte ich in seinen Kopf kriechen und seine Gedanken lesen, all die Dinge, die er mir nicht erzählt. Seine Finger berühren das Mikro, sein Arm beugt sich, er hebt es an. Dann beginnt er zu singen, und ich sehe zu, wie seine Lippen sich bewegen, wenn er die Worte formt. Unter dem T-Shirt erkenne ich seine Schultern, und ich stelle mir vor, wie sich die Muskeln in seinen weiten Jeans bewegen. Es fällt mir leicht, ihn in Gedanken auszuziehen, während meine Finger ganz automatisch über die Tasten huschen. Ob wir jemals wieder miteinander schlafen werden? Momentan hat es den Anschein, dass wir uns voneinander entfernen, und ein großer Schmerz erfüllt meine Brust, meine Kehle. Es ist so leicht, einfach vom anderen wegzudriften.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Leben weitergehen soll, ohne dass ich weiß, was er schreibt, ohne dass wir zusammen unsere Träume spinnen, ohne die alltäglichen Kleinigkeiten wie die Wohnung zu putzen, mit Levy zu spielen oder bei Farmer Jack’s Gemüse zu kaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er keine Spiegeleier mehr für uns macht. Ich kann mir seine Texte nicht ohne mein Keyboard vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne ihn im Bett zu liegen.
Dann singe ich wieder meinen Song. Er hat mich flüchtig vorgestellt, so, als gehört meine Solomusik jetzt schon zum üblichen Programm. Er sagt es nicht, aber er gibt mir den Raum, den ich mir gewünscht habe.
Ich denke mir eine neue Strophe aus und sehe ihn an, während ich sie singe. Ich weiß, dass mein Gesicht gut lesbar ist, nicht mal die orange Schminke versteckt meine Angst und meine Sehnsucht.
Aber ich habe keine Ahnung, ob wir den Weg zurück zueinander finden werden.
In dieser Nacht schlafen wir Rücken an Rücken in unserem schmalen Bett. Mit offenen Augen liege ich da, während der Bus unter uns schaukelt, uns zueinander und voneinander weg schubst, so dass ich Aaron zufällig berühre und dem Drang widerstehen muss, meinen Kopf auf seine Schulter zu legen. So gern möchte ich ihn auf den
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