Ann Pearlman
Wie lange wohl schon? »Wäre schön, wenn meine Mom jetzt bei uns wäre!«, sagt Aaron.
Ich halte Levy an der Hand. Aaron nimmt die andere, und jetzt sehen wir wieder aus wie eine ganz normale Familie.
Obwohl wir uns nicht berühren, halten wir uns durch Levy an den Händen.
Meine Sehnsucht nach ihm wird dadurch nur noch größer. Diese neue Regel, dass wir uns nicht anfassen. Als wäre es irgendwie gefährlich, wenn wir uns berühren, als würde das Konsequenzen nach sich ziehen, die wir nicht mehr steuern können. Und davor haben wir Angst.
Aber in diesem Moment wendet Aaron sich mir zu, lächelt und schwingt Levys Hand, und ich schwinge die andere. Wir sind eine glückliche Familie.
Dann bückt sich Levy und hebt einen Stein auf. Halb anthrazit, halb beige, liegt er auf seiner rosa, von braunen Linien durchzogenen Handfläche. Levy schaut den Stein an, Aaron und ich einander. »Toller Stein«, meint Aaron schließlich. »Ich wette, Smoke kann ein Loch reinbohren, dann kannst du ihn dir um den Hals hängen. Ein ganz besonderer Stein von einem ganz besonderen Ort.«
Levy legt die Finger fest um seinen Schatz. »Ja«, sagt er nur.
Von der leichten Brise habe ich eine Gänsehaut auf den Armen.
Im Museum gibt es Filme, in denen weiße Studenten ihre farbigen Kommilitonen im Imbiss von den Stühlen zerren, sie prügeln, schubsen, stoßen, zu Boden werfen. Wir sehen, wie Demonstranten mit Wasserwerfern traktiert werden, wie bissige Hunde nach ihnen schnappen, wie Weiße einen jungen Schwarzen, der seine Mutter beschützen will, zu Tode treten.
»So gewalttätig waren wir«, stellt Sky trocken fest. »Das war mir überhaupt nicht klar.«
»Du wusstest das nicht?«, hakt Smoke nach, ohne Sky anzusehen, und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Damals war so etwas fast an der Tagesordnung«, meint Allie. »Wenn man es jetzt so geballt vor sich sieht, erschrickt man, dass Menschen unserer Rasse so etwas getan haben. Dabei sind die schwarzen Demonstranten ein ganzes Jahrzehnt lang gewaltlos und friedlich geblieben. Aber nach dem Mord an Martin Luther King hat sich die Gewalt im ganzen Land entladen.«
»Wir haben immer nur Objekte angegriffen, niemals Menschen«, wirft Aaron ein.
»Und dann hat man angefangen, jede Menge Schwarze ins Gefängnis zu stecken«, sagt Smoke.
Red Dog und T-Bone lachen sarkastisch und klatschen einander ab.
Smoke hat die Arme immer noch vor der Brust verschränkt.
Zum ersten Mal verstehe ich, warum es Mom Sorgen macht, dass ich mit Aaron zusammen bin. Auf einmal sehe ich mich durch ihre Augen.
»Erstaunlich – ich bin schon so alt, dass Ereignisse, an die ich mich noch gut erinnern kann, im Museum ausgestellt werden«, bemerkt Allie.
Im Hinausgehen fügt sie hinzu: »Und es ist auch erstaunlich, wie weit wir gekommen sind.« Sie sagt es einfach so, fast mehr zu sich selbst als zu einem von uns.
»Ja, wir werden grundlos schikaniert, verprügelt und eingesperrt. Aber gelyncht werden wir nicht mehr«, sagt Smoke.
Sky schaudert und schließt die Augen, wahrscheinlich in Erinnerung an den Vorfall gestern auf dem Highway. Dann strafft sie die Schultern und reckt das Kinn. »Die Bewegung ha t das moralische Bewusstsein der Menschen gestärkt. Anwälte haben in aller Stille und manchmal praktisch unbemerkt Gesetze und Richtlinien ausgearbeitet. Die Dinge haben sich geändert.«
Ich wende mich ihr zu, während sie in ihrem Farmerinnenkleid und den offenen blonden Haaren neben mir hergeht. Rachel hüpft an ihrer Hand. »Woran denkst du?«
»Ich muss nicht beim Familienrecht bleiben.« Ihre grauen Augen starren mir direkt ins Gesicht, und sie hat einen sehr entschlossenen Zug um den Mund. »Ich kann mich spezialisieren, wo ich will, auf jedem Gebiet. Strafverteidigung. Zivilrecht. Ich könnte helfen, Gesetze auszuarbeiten.« Sie nickt und presst die Lippen aufeinander. »Vielleicht wäre das sinnvoller, wichtiger. Ich könnte die Zulassungsprüfung machen und sehen, was es in dieser Richtung für mich gibt.« Dann zieht Rachel sie zu Levy, der an Aarons Hand geht.
Levy hebt einen Stein vom Boden auf, glatt, rund und fast durchsichtig beige, und zeigt ihn Sky.
Unser Konzert findet in einem alten Theater mit einer verschnörkelten gelb-roten Markise statt. Für heute ist »Special Intent« angezeigt. Nächste Woche fangen die »Jersey Boys« an.
Wir stellen uns alle fünf dicht im Kreis zusammen, ehe wir auf die Bühne gehen. »Okay, ihr alle«, sagt Aaron. »Wir haben den Scheiß
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