Ann Pearlman
nicht nach den Leuten treten, die hinter ihm die Leiter zu erklimmen versuchen. Bei jedem Konzert, bei jeder neuen CD hat er Angst, dass er von der Kritik niedergemacht oder von jemand Jüngerem, Besserem, Coolerem überholt wird. Kein Hip Hop mehr. Irgendeine Alternative oder eine Mixtur aus Blues und Rap … etwas, das er womöglich verpasst hat – und auf einmal wäre er wieder dort, wo er angefangen hat, damals, als er sich abgemüht hat, als er dauernd befürchten musste, in Vergessenheit zu geraten, auf einmal wieder nur arm und schwarz zu sein.
Das Gegenmittel für diesen von Angst genährten Ehrgeiz ist das, was ich schon immer gewusst, aber aus den Augen verloren habe. Einfach Musik machen, sie hinaus in die Welt zu lassen, so gut man es kann – und den ganzen Rest, das ganze Brimborium einfach vergessen. Dann macht es Spaß, egal ob man am Strand für Kleingeld spielt oder in der Carnegie Hall, im Internet oder in einer Sporthalle. Du gibst dein Bestes, und du teilst es mit anderen Menschen.
Wie die Botschaft, die David uns gegeben hat. Für ihn ist es der Planet, der uns geschenkt wurde, damit wir uns an ihm freuen. Darum geht es natürlich auch.
Aber für mich gibt es noch etwas anderes.
Jetzt weiß ich, was ich tun werde. Ich muss nur noch nach Hause kommen und hoffen, dass Aaron so lange warten kann.
Nur noch ein Tag: die lange Heimfahrt.
11
Keine Garantie
Sky
I ch war allein mit ihm, als er gestorben ist, weißt du.«
»Ich dachte, Mom war bei dir«, entgegnet Tara.
»Sie war gerade irgendwo anders. Ich weiß nicht mehr wo. Auf der Toilette vielleicht. Oder in der Cafeteria. Jedenfalls war ich allein. Allein mit Troy.« Meine Stimme kratzt in meiner Kehle. »Nur wir zwei.«
Tara wendet sich mir zu.
»Es war so ein Hin und Her. Man weiß nie, wann er endlich eintritt«, sage ich. »Der Tod, meine ich.« Ich sehe seine bläuliche Haut wieder vor mir, seine Fingerspitzen. Ich habe ihn berührt, und er war kalt. Schon ganz kalt. Ich drückte seine Hand, und er bewegte noch die Finger, ganz schwach zwar, aber ich wusste, dass er noch da war. »Man weiß nur, dass es bald sein wird. Am Ende konnte er nicht mehr sprechen. Er hat kaum noch Luft gekriegt.«
Ich fahre meinen Honda, Tara sitzt neben mir, die Kinder schlafen beide eingekuschelt in ihren Autositzen.
Wir sind auf dem Weg nach Hause. Elf Stunden und siebzehn Minuten, sagt mein Navi. Wieder auf die I-40 nach Osten, dann die 65 in nordöstliche Richtung zur 71, und dann – nach Hause.
Ich weiß nicht, ob es sich noch wie zu Hause anfühlen wird. San Diego war zu Hause, aber dann sind wir nach Venice gezogen. In der Mietwohnung haben wir nicht lange genug gewohnt, um uns dort wirklich heimisch zu fühlen, so, wie wir es uns für das Haus vorgestellt haben, das wir zu finden hofften.
»Ich erinnere mich genau, wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe«, sagt Tara.
Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu, aber sie starrt jetzt aus dem Fenster auf die Bäume in der Ferne, die die Sicht auf die dahinterliegenden Farmen oder Dörfer verstellen.
»Es ist immer schlimmer geworden. Er hat geatmet, so gut er konnte, aber selbst mit dem Sauerstoff war es schwierig.« Mir laufen Tränen über die Wangen. Tara legt ihre Hand auf meine, die das Steuer hält. Der Geschwindigkeitsregler ist eingeschaltet, ich fahre am Limit. Es gibt nicht viel Verkehr, die Straße ist leicht kurvig, nichts Exotisches. Es ist, wie es ist.
»Hat er irgendwas gesagt?«, fragt Tara.
»Er hat nach Luft gerungen und gurgelnde Geräusche von sich gegeben, weil das Luftholen so mühsam war, und dann wurden seine Atemzüge langsamer und dann … dann …« Ich umklammere das Lenkrad und lecke mir über die trockenen Lippen. Ich möchte erklären, was da passiert ist, ehrlich, aber ich bekomme es nicht richtig zu fassen, und die richtigen Worte dafür finde ich schon gar nicht. »Es ist unglaublich, total verblüffend – im schrecklichsten Sinn des Wortes –, wenn es passiert. Wenn das Leben geht. Der Moment ist unverkennbar, selbst wenn es keine sichtbare Veränderung gibt. Der gleiche Körper. Die gleichen Haare. Die gleichen kalten Hände. Die gleichen Lippen. Aber er war nicht mehr da.«
Tara lauscht aufmerksam, aber ich weiß, dass es mir nicht gelungen ist, mich verständlich zu machen, also versuche ich es noch einmal.
»Ich seh ihn noch vor mir. Wie er gekämpft hat und schwächer wurde, aber noch da war. Und dann dieser letzte Atemzug, nicht anders als
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