Ann Pearlman
ihn – wir waren gerade erst zusammengezogen – gefragt habe: »Wo gehst du hin? Wann bist du zurück?«
Da trat er einen Schritt zurück und antwortete mit leicht zusammengekniffenen Augen und betont ruhiger Stimme: »Ich bin grade aus dem Gefängnis raus, und ich hab nicht vor, mich wieder einsperren zu lassen, auch wenn’s diesmal ohne Gitter ist. Ich bin zurück, wenn ich zurück bin. Wenn du mich brauchst, ruf an.« Dann schlüpfte er in seine Schuhe.
Das war eine kalte Dusche, aber ich pflanzte mich breitbeinig vor ihm auf, reckte das Kinn und nahm all meinen Mut zusammen. »Mann, ich will dich nicht kontrollieren. Mach dich locker. Aber ich hab auch Pläne.«
Sofort wurden seine Augen sanfter.
Ich grinste und sagte so frech, wie ich konnte: »Und da hätte ich dich irgendwie ganz gern dabei.«
Jetzt fing er an zu lachen. »Du hast meine Nummer, T.«
Aber ich hab ihn nie wieder gefragt, wo er hingeht.
»Du weißt doch, dass ich nichts tun würde, was unserer Beziehung schadet, oder?« Vermutlich war das seine Art zu versprechen, dass er mir treu sein würde. Vermutlich hatte er gemerkt, dass ich auf Distanz gegangen war.
Wir waren in unserer Wohnung, Levy schlief in seinem Bettchen, und wir sahen beide zu, wie seine Finger leise zuckten und sich seine Augen im Traum unter den Lidern bewegten. Ehrfürchtig betrachteten wir unser Produkt – wir hatten einen neuen Menschen geschaffen. Mir kommt das immer noch vor wie ein Wunder, selbst wenn Levy gerade weint oder brüllt.
Irgendwie hab ich mich wohl ins Auge des Sturms meiner eigenen schlimmsten Befürchtungen manövriert, als ich mich mit einem gutaussehenden Rap-Star eingelassen habe, für den zahllose Mädchen die Beine breitmachen würden. Deshalb schütze ich mich. Na ja, ehrlich gesagt würde ich mich immer schützen. Das ist das Einzige, was ich von meinem Dad gelernt habe.
Deshalb sage ich zu Aaron: »Ich bin die Tochter meines Vaters – ich könnte den Spieß gegebenenfalls auch umdrehen. Aber dazu hab ich keine Lust. Ich würde einfach gehen.« Und das stimmt. Ich bin jederzeit bereit abzuhauen.
Als wir in Atlanta waren, hat er mir einen Heiratsantrag gemacht, direkt nach dem Konzert, während unsere Zuhörer noch stampften und brüllten und er erfüllt war von ihrer Begeisterung und seinem eigenen Erfolg. »Heirate mich«, sagte er, und es klang wie ein Befehl.
Mir war klar, dass wir uns nachher wieder durch die Meute der Frauen würden drängeln müssen, die sich mit allen Mitteln an Special festklammerten, ihm die Hand in Hosentasche oder Hosenbund steckten, nur um irgendwie mit zu unserem Bus zu kommen. »Ja«, antwortete ich. »Aber erst, wenn die Tour vorbei ist.« Ich wollte ihn auf die Probe stellen. Und mich selbst auch.
»Gute Idee. Dann heiraten wir in unserem neuen Haus.«
Aber in unserem Bus sind wir eine Familie, die zusammen durch Amerika fährt.
Ich trinke meinen Kaffee aus und betrachte durchs Fenster die Ebene, durch die wir gerade fahren, so platt, dass sich Erde und Himmel nicht unterscheiden, außer durch ihre Farben.
Smoke spielt mit Levy und versucht ihm das Zeichnen beizubringen.
Aaron hat sich Papier geholt und schreibt. Ich weiß, dass er dann nichts hört außer den Worten in seinem Kopf. Neue Ideen umrahmt er mit Rechtecken, es sieht aus wie eine Ansicht der Erde aus großer Höhe. Ich lese seine Worte auf dem Kopf.
Keine Ahnung, aber irgendwie ist es fesselnd, ihm beim diesem kreativen Prozess zuzuschauen. Ich habe keinen Zugang zu seinen Gedanken, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche. Wenn ich beobachte, wie die Gedanken langsam aus seinen Fingerspitzen tropfen, kommt es mir vor, als würde ich durch ein kleines Fenster in seine Seele blicken. Aber ich wüsste so gern, was er denkt, denn dann wüsste ich auch, ob ich wirklich in Sicherheit bin.
Gelegentlich sehne ich mich nach der klassischen Musik, die ich so viele Jahre gespielt habe. Heute ist so ein Tag. Die Landschaft von Iowa sieht aus, als wäre Gott bei der Schöpfung noch nicht dazu gekommen, die Welt ein bisschen auszuschmücken. Also stehe ich auf, hole mein Keyboard und schließe es an.
Für Aarons Text fühlt sich Faurés Requiem absolut perfekt an. Die Töne, die ich mit meinem Keyboard erzeuge, bringen den Bus zum Pulsieren, und ich summe die verschiedenen Stimmen, die Begleitmelodie.
Und dann fügt Special noch die letzten Zeilen hinzu.
In diesem Spiel
Wo der Tod meinen Namen wissen will
Als hätte der alte Fauré ihn
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