Ann Pearlman
inspiriert. Er liest seinen Song noch mal durch und sagt: »Hey. Probieren wir’s. Mal sehen, wie ihr’s findest.« Smoke, Red und T-Bone scharen sich um uns, Smoke mit Levy unter dem Arm.
Ich höre auf zu spielen und höre zu.
»Nein, mach weiter. Ganz gleich, was das ist.«
»Das Requiem von Fauré. Handelt von Jesus’ Kreuzigung und Auferstehung.«
»Perfekt«, sagt Special. »Super.«
Und er fängt an mit der Hookline, ich füge die Musik ein und summe leise die Melodiestimme. Special rappt den Refrain, und gemeinsam enden wir auf der letzten Zeile, mit dem Tod, der den Namen wissen will, und ich mache das A-a-amen, als wäre es das Ende der Welt oder ein Neuanfang. Wer weiß denn schon, was passiert.
Und die Crew – alle schauen sich stumm an und schütteln den Kopf. »Das ist cool. Fast ein bisschen zu cool, Mann«, meint T-Bone.
»Ziemlich anders als das, was man sonst so Rap nennt«, sagt Red.
»Wir müssen ja auch nicht in die Schubladen von anderen Leuten passen. Wir machen unsere eigenen«, sagt Aaron.
»Na klar, mit einer Baby-Mama und ihrem Baby im Schlepp tau.« Als T-Bone erfahren hat, dass Levy und ich mit auf Tour gehen, wollte er seine Baby-Mamas auch mitbringen (er hat zwei).
»Jep«, hat Aaron damals geantwortet, »wenn sie Musik oder sonst was Wichtiges machen. Wenn sie besser Keyboard spielen als Tara zum Beispiel. Oder so gut rappen wie einer von uns.« Da war T-Bone still, aber ich weiß, dass es ihn immer noch ein bisschen ärgert.
Mit seiner langsamen, trägen Stimme meint Smoke: »Kulturen zu mischen hat einen umwerfenden Effekt.«
Special sieht mich an und lächelt. »Wir werden einfach immer besser.«
»Dann geben wir mal noch ein bisschen Afrika dazu.« So nennt Smoke seine Djembe: Afrika. Und wir legen noch einmal los.
So arbeiten wir uns durch die Ebene, durch das, was vom Kornfeld übrig ist. Unter einem blassblauen, fast weißen, aber wolkenlosen Himmel, dem die grüne Ebene begegnet wie dem Meer … und wir sind allein auf der Straße, ich und meine Crew, meine Familie, während wir an diesem Song über Detroit arbeiten.
Und dann, mitten in der Zeile über die unbebauten Grundstücke, klingelt mein Handy.
»Mom?« Ich gehe nach vorn, damit ich die Crew nicht störe.
»Tara, wo bist du?« Wenn sie einen Satz so mit meinem Vornamen beginnt, klingeln bei mir die Alarmglocken. Ihre Stimme klingt zittrig, aber gleichzeitig hektisch.
»In Iowa, glaube ich. Auf dem Weg nach Denver.«
»Alles gut bei euch?« Das ist keine Frage, sondern eher eine Aufforderung, sie zu beruhigen.
»Ja. Warum? Was ist los?«
Schweigen. Sind wir unterbrochen worden? »Mom?«
»Tara, ich muss dir etwas sagen.«
Ich weiß, sie meint: etwas Schlimmes, und ich suche mir einen Platz ein paar Reihen hinter Thumble, unserem Fahrer.
»Okay, ich bin ganz Ohr.«
»Es ist Troy. Er ist im Krankenhaus.«
»Was ist denn passiert?« Mein erster Gedanke ist, dass er einen Autounfall hatte.
»Er hat irgendeine Infektion.«
»Was?«
»Eine von denen, die gegen Antibiotika resistent sind. Ein fleischfressendes Bakterium. Sieht aus, als wäre es in seiner Lunge und im Blutkreislauf.«
Ich dachte immer, so was gibt es in Wirklichkeit gar nicht, das hat sich nur jemand für einen Science-Fiction-Film ausgedacht, oder um den Leuten Angst einzujagen, damit sie sich voneinan der fernhalten. »Was ist mit Sky und Rachel? Sind sie gesund?«
»Ja. Aber Troy kämpft um sein Leben.«
»Und Sky …« Sie hat so viel durchgemacht. »Das ist nicht fair.«
Mom atmet hörbar, und ich merke auch, dass sie nicht auf und ab wandert.
Als ich Troy zum ersten Mal begegnet bin, war ich gerade mal fünf, und in meinen Augen hatte Sky alles, was man sich nur wünschen konnte. Sie war Moms Liebling. Troy himmelte sie an. Sie hatte gute Noten, glatte, blonde Haare und bekam in der Sonne wunderschön goldbraune Haut. Ihre sensationellen grauen Augen zogen alle Blicke auf sich. Bis heute. In der Zeit, als sie Troy kennenlernte, probierte sie gerade alle möglichen Lidschatten aus, und jede Farbe – grün, braun oder mauve – brachte einen anderen Farbton zum Leuchten.
Meine Augen sind einfach nur braun, haselnussbraun.
Und Sky hatte auch noch zwei total coole Freundinnen, Marissa und Jennifer. Marissa hatte braune Ringellocken und war Cheerleaderin, Jennifer war der weibliche Tennisstar der Highschool. Die drei hingen ständig zusammen, waren also nie einsam, und sie machten alles, was ich nicht durfte: Sie
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