Ann Pearlman
drohte. Ich wusste, was sie dachte, mir war klar, dass sie meine Beziehung zu einem schwarzen Ex-Sträfling für verrückt und selbstzerstörerisch hielt. Als ich ihr gesagt habe, dass ich schwanger bin, meinte sie, unser Traum wäre »pubertärer Schwachsinn«. Wörtlich. Als Aaron mir dann anbot, ich könnte sein Auto benutzen, um die zwei Wochen vor der Abschlussprüfung zur Schule und zurück zu fahren, packte ich mein Keyboard und ein paar Klamotten zusammen, und weg war ich.
Aaron fand eine kleine Zweizimmerwohnung für uns, in der gleichen Straße wie Sissy, seine Mom. Da wohnen wir immer noch. Als ich meine Mom angerufen habe, um es ihr zu sagen, führten wir folgendes Gespräch.
»Wo bist du?« Offensichtlich wunderte sie sich, dass ich anrief.
»Dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich bin nach Detroit gezogen.«
»Das hab ich mir wirklich nicht gewünscht.« Ihr Ton klang gezwungen.
»Ich meine nur, dass du dir jetzt meinetwegen keine Sorgen mehr zu machen brauchst.«
»Was redest du denn da? Natürlich werde ich mir weiter Sorgen um dich machen.«
Ich malte mir die Liste aus, die sie in Gedanken zusammenstellte. Eine Liste meiner Fehler: Noch nicht mit der Schule fertig. Schwanger. Schwarzer Freund. Zwar sehr gute Noten in Musik, Englisch und Kunst, aber in Mathe und Bio nur ausreichend. Inkonsequent. Versager. Also, Mom ist nicht rassistisch, aber sie hätte sich ein behütetes Mittelschichtsleben für mich gewünscht, und die Tatsache, dass Aaron schwarz ist und aus dem Ghetto kommt, machte die Erfüllung solcher Zukunftshoffnungen äußerst unwahrscheinlich – vor allem, da Aaron auch noch im Gefängnis gewesen war und Hip-Hop-Star werden wollte. Man kann sich unsere Diskussionen wahrscheinlich vorstellen. Ungefähr so:
»Willst du nicht aufs College?«
»Nein. Ich will Musik machen.«
»Du kannst doch Musik studieren. Du brauchst nur aufs College zu gehen.«
»Ich lerne lieber in der Praxis.«
»Aber von anderen kann man viel leichter lernen. Warum musst du denn unbedingt immer den schwierigsten Weg gehen?«
Es war Anfang Juni, ich stand an einem Münztelefon. »Ich hab lange gewartet, bevor ich dir das mit dem Baby gesagt habe. Ich freue mich wahnsinnig, dass Aaron und ich zusammen mit unseren ganzen Songs auch noch dieses neue Leben erschaffen haben.«
»Aber siehst du denn nicht, wie gefährlich das ist, für dich und das Baby?«, fragte sie als Antwort. »Du verschließt deine Augen davor, dass das, was du tust, auch andere Menschen betrifft.«
Ich wusste, dass sie auf und ab ging. Genau wie Sky rennt sie beim Telefonieren hin und her, und ich sah sie vor mir, wie sie durch ihr Wohnzimmer wanderte, die weißen Haare mit einer Spange zusammengehalten, in den Ohren die üblichen Diamantstecker.
»Hier geht es nicht um dich. Ich mache nicht deinetwegen Musik. Ich hab mich nicht deinetwegen in Aaron verliebt. Ich hab mich nicht deinetwegen für dieses Baby entschieden.«
»Nein. Du möchtest tun, was du willst, egal um welchen Preis. Dann sag mir doch mal, was ich falsch gemacht habe«, erwiderte sie.
Ich wickelte mir die Telefonschnur um den Finger. »Vielleicht dass du eine Tochter in die Welt gesetzt hast, die Musik mehr liebt als sich selbst, mehr als dich, mehr als alles andere?« Ich schlang das Kabel um mein Handgelenk. »Vielleicht dass du meinen Vater geheiratet hast?«
Sie schwieg.
»Vielleicht bin ich genauso egoistisch wie er. Vielleicht möchte ich diesen ganzen konventionellen Quatsch einfach nicht mitmachen. Vielleicht möchte ich einfach ich sein.« Ich ließ das Kabel los und schlug auf eine Stechmücke, die sich auf meinem Bein niedergelassen hatte, wobei ich das Blut über meine Wade verteilte. »Diese Moskitos bringen mich um.«
»Wo bist du denn?«
»Ich rufe von einem Münztelefon an, weil ich nicht wollte, dass du dir Sorgen machst, und weil mein Handy-Akku leer ist.« Man hätte doch meinen müssen, sie würde kapieren, wie viel Liebe und Rücksicht das bedeutete!
Tatsächlich veränderte sich ihre Stimme und verlor ihre Stacheln. »Na ja, vermutlich hab ich dann alles falsch gemacht bei dir?«
»Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir. Ich bin ganz anders als du und Sky.«
Mom hielt die Luft an und rang nach den richtigen Worten. »Ich fand dich immer toll. So viel Talent. So klug. Ein bisschen frühreif vielleicht. Aber ich hatte immer das Gefühl, du willst nichts mit mir zu tun haben und um keinen Preis so werden wie ich.«
Wenn wir miteinander
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