Ann Pearlman
schminkten sich, rasierten sich die Beine, verabredeten sich mit Jungs, gingen allein in die Stadt oder zum Tanzen. Ich drückte mich immer vor Skys Schlafzimmer herum und lauschte, wenn sie da waren, aber eines Tages erwischte sie mich und beschwerte sich bei Mom. Danach trafen sie sich eine Weile fast ausschließlich bei Marissa.
Nachdem sie mich beim Lauschen ertappt hatte, hörte ich, wie Sky zu Mom sagte, dass sie mich hasst. Mom antwortete ihr, das wäre ganz normal für Schwestern, Geschwisterrivalität und all so was. Aber ich war ziemlich irritiert. Ich probierte aus, Ich hasse dich zu ihr zu sagen, aber das klang lahm, weil mir die nötige Überzeugung fehlte. Ich wollte so sein wie sie, ich wollte auch so ein müheloses, makelloses Leben.
Inzwischen stimmt das vermutlich nicht mehr. Schon seit den Fehlgeburten. Aber seit klar ist, dass der genetische Fluch an Rachel vorübergegangen ist, läuft alles wieder in gewohnten Bahnen, reibungslos und vorhersehbar, wie es anscheinend Skys Spezialität ist. Das heißt, so war es bis zu Mias Tod.
Ich höre, wie Mom nervös mit der Zunge klickt.
»Kann ich mit ihm sprechen?«
»Wann kommt ihr denn nach L. A.?«
»In drei Tagen. Wir brauchen einen Tag bis Denver, nonstop, dann das Konzert, dann einen Tag bis L. A.«
»Ich fliege morgen zu Sky, um ihr mit Rachel zu helfen.«
Ich stehe auf, suche meinen Rucksack und fische einen Stift heraus. »Gibst du mir seine Nummer?«
Sie diktiert, ich schreibe.
»Mom, er ist jung und fit. Er wird wieder gesund.«
»Bitte erzähl mir nicht dieses Zeug von wegen jung und fit.« Ich weiß, dass Mom an Skys Vater denkt, der mit fünfunddreißig an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist.
»Das kann nicht sein. Es kann einfach nicht sein. Skys Vater ist gestorben, als er noch keine vierzig war, das kann jetzt nicht auch noch ihrem Mann passieren. Nein, das verstößt gegen alle Regeln der Wahrscheinlichkeit.«
Ich breche in Tränen aus.
Mom sagt nichts.
»Troy ist wie ein Bruder für mich.«
»Deshalb wollte ich ja auch, dass du Bescheid weißt. Und dir sagen, dass ich heute nach Los Angeles fliege.«
Dann kommt sie wahrscheinlich nicht zu meinem Konzert. »Vielleicht geht es ihm bis Freitag schon besser.«
»Ich möchte dein Konzert auf keinen Fall verpassen. Aber wir müssen einfach abwarten …«
Troy ist wichtiger. Das weiß ich. Aber Sky hat immer den Vorrang. Meine Schwangerschaft mit Levy wurde von ihren Fehlgeburten überschattet. Es geht immer um sie. Alle mögen sie, weil sie so verdammt toll ist, und im Kontrast zu mir, die ich immer sonderbar und rebellisch war, erntet sie nur noch mehr Sympathie. Mom würde jetzt darauf hinweisen, dass ich mich selbst isoliert habe. Aber das kam auch daher, dass ich mich immer ausgestoßen gefühlt habe.
Ich will nicht jammern, denn ich bin glücklich damit, wie die Dinge sich entwickelt haben. Die ganzen traurigen, einsamen Zeiten haben mich stark gemacht, haben mir die Kraft gegeben, das zu tun, was ich jetzt tue. Aber manchmal wünsche ich mir einfach, ich wäre für Mom genauso wichtig. Ich hab mir vorgestellt, dass bei diesem Konzert, für diesen einen Abend, meine ganze Familie meinetwegen da ist. Aber es kommt immer irgendwas dazwischen.
Kurz überlege ich, ob ich von Denver gleich nach L. A. fliegen soll, aber ich kann die Crew nicht im Stich lassen oder das Konzert schwänzen. Schließlich habe ich vertragliche Verpflichtungen. »Ich gehe sofort zu ihm, wenn wir in L. A. ankommen.« Ich weiß, dass ich mich damit aus Moms Sicht über die Familie stelle, denn sie versteht einfach nicht, was Aaron und ich machen.
»Wir sind für die Crew verantwortlich, wir können das Konzert nicht canceln. Die anderen können nicht ohne uns auftreten, und wir sind vertraglich verpflichtet«, versuche ich zu erklären.
»Hmm. Na ja, ich muss packen. Ich ruf dich an, sobald ich da bin.«
»Vielleicht können wir ja irgendwie helfen.«
Sie schweigt.
»Ich liebe dich.« Aber sie hat schon aufgelegt. Oder die Verbindung ist abgebrochen. Ich weiß es nicht.
Noch eine ganze Weile bleibe ich im vorderen Teil des Busses. Die Gang werkelt immer noch am Übergang zwischen der Hookline und der Strophe. Sie lachen, und ich fühle ihre Begeisterung und Freude.
Gleich nachdem ich Mom damals von meiner Schwangerschaft erzählt hatte, bin ich ausgezogen. Ich hab ihr Gesicht gesehen, diesen besorgten Was-soll-ich-denn-jetzt-machen-Ausdruck, diesen Blick, der mein Glück zu ersticken
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