Ann Pearlman
redeten, hielt ich mich immer an oberflächliche Themen, und ich ging Mom zusätzlich aus dem Weg, indem ich alle möglichen dringenden Dinge vorschützte: Ich musste Klavier üben, ich musste zur Schule, ich musste mich mit Aaron oder sonstigen Freunden treffen. Was in meinem Leben wirklich vor sich ging, davon bekam sie nicht viel mit. »Was für ein Unsinn. Aber egal, Mom.« Eigentlich wollte ich auflegen. Ich hörte den Verkehr an mir vorbeirauschen wie Wellen am Strand. Ein wenig sanfter fügte ich hinzu: »Nein. Vielleicht hast du recht. Genauso könnte es gewesen sein.« Ich war wütend auf sie, weil sie meinen Vater nicht halten konnte. Wütend auf meinen Vater, weil er sich nicht um mich kümmerte. Weil ich keine intakte, normale Familie haben konnte, schmiss ich einfach alles hin. Und beschloss, dass wenigstens ich für mich da sein wollte. Allein. Nur für mich. »Aber ich konnte nicht sein wie du, ohne mich selbst zu verlieren.«
»Jetzt haben wir zum ersten Mal seit Jahren ein sinnvolles Gespräch.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Seit du dir die Haare schwarz gefärbt hast.«
»Siehst du jetzt, dass alles besser wird? Ich ziehe aus, und schon unterhalten wir uns wieder anständig. Hier stehe ich mitten auf der Straße, werde bei lebendigem Leib von den Moskitos gefressen und rede mit dir. Das hat doch was zu bedeuten, oder, Mom?«
»Dass es dir wichtig ist.«
»Scheiße, ja.«
»Ihr werdet euer Leben zu leben anfangen, du und Aaron. Du wirst sehen, ob euer Traum Wahrheit wird.«
Sie versuchte, mir etwas zu geben, aber sie kapierte es trotzdem nicht. Ob wir jemals groß rauskamen, war nicht der Punkt. Wichtig war nur, dass ich etwas Eigenes machte, dass ich kreativ sein konnte. »Ich muss auflegen. Die Moskitos bringen mich um.«
»Ich liebe dich. Komm und hol deine restlichen Sachen, ich würde dir gern ein paar Möbel schenken, damit ihr es euch in eurer Wohnung richtig gemütlich machen könnt.«
»Ich liebe dich auch, Mom.«
Als ich sie das nächste Mal wiedersah, schien sie sich mehr auf das Baby zu freuen und fragte mich, ob wir noch etwas für das Kleine brauchten. Sie gab mir die Seidenblumen, ein paar Quilts von meiner Großmutter und ein Geschirrset samt Besteck, das sie für uns gekauft hatte. Als wollte sie ihr Vertrauen in mich unter Beweis stellen, sagte sie: »Weißt du, du wirst immer mein Baby bleiben«, und drückte mich fest an sich. Ich schlang die Arme um sie und genoss die Zärtlichkeit, die ich mir immer gewünscht hatte.
Vielleicht war in ihren Augen das Schlimmste passiert. Das, wovor sich alle Mütter fürchten: eine schwangere Teenager-Tochter in einer riskanten, scheinbar unvernünftigen Beziehung. Und nun zeigte sich, dass das Schlimmste gar nicht so schlimm war.
Ich höre die Crew am Text arbeiten. Manchmal hab ich das unheimliche Gefühl, dass ich die Zukunft vorhersehen kann. Nein, nicht richtig – aber die Songs, die wir schreiben, werden sehr oft wahr. Es passiert einfach. Und manchmal sehen Aaron und ich uns dann mitten bei einem Auftritt an und merken, dass unsere Worte Wahrheit geworden sind … und die Musik, meine Musik, treibt Specials Worte voran. Genau wie heute.
Wir sind ein Paar. Und ein paar Sekunden lang fühle ich mich sicher und geborgen. Nicht mehr allein.
Zufällige universelle Verbindungen. Faszinierend.
3
Wo war ich, bevor ich auf
die Welt gekommen bin?
Sky
T roy versucht zu lächeln, als er mich sieht, und hebt mühsam die Hand. Heute kommt er mir noch ein Stück kleiner vor, als würde er bald ganz im Bett versinken. Behutsam küsse ich ihn auf die Stirn.
»Rachel?«
»Mom ist bei ihr. Und morgen kommt Allie.«
»Gut«, flüstert er. Als er zu erkennen gibt, dass er trinken möchte, biege ich den Strohhalm in seinem Wasserglas um, damit es leichter geht. Aber schon nach ein paar Schlucken lässt er sich erschöpft aufs Kissen zurücksinken. Auf dem Tablett des Krankenbettes steht unberührt das Frühstück, die Plastikdeckel noch über den Tellern, das Besteck ordentlich in die Serviette gewickelt.
»Du musst was essen. Soll ich dich füttern?« Vorsichtig schiebe ich das Tablett ein Stück weiter nach oben und schaue unter die Deckel. Rührei, Toast, Saft und ein Becher mit Obst.
Troy spießt mit der Gabel ein bisschen Rührei auf, hält einen Moment inne und führt den Bissen dann zittrig zum Mund. Ich schüttle die Kissen in seinem Rücken auf. »Na, ist es so besser?«
Troy nickt und fährt fort, langsam
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