Anna, die Schule und der liebe Gott
Jahrzehnten auf der documenta in Kassel auszustellen, als hübschen Beweis für falsch verstandene und falsch eingesetzte Technik.
Computer passen nicht einfach als kleine Ergänzung in die alte Schulstruktur, sondern sie erfordern ein Aufbrechen des bisherigen Unterrichtsrhythmus und seiner Leitgedanken. Sie sind kein Ergänzungsmedium, sondern wichtiger Bestandteil eines neuen individualisierten Lernens. Denn anders als im Klassenunterricht, wo man nicht mehrmals hintereinander etwas » Dummes « sagen sollte, ohne dass dies Konsequenzen hat, lernt man mit Lernsoftware durch trial and error. Fehler zu machen ist ein völlig problemlos akzeptierter Teil des individualisierten Lernens. Wie aus zahlreichen Studien hervorgeht, profitieren vor allem Lernbehinderte, Jungen, Hauptschüler und Hochbegabte enorm von diesem veränderten Lernen und können sich hier am besten entfalten und bilden. 112
Vieles von dem, was Khan für seine Idee eines weltweiten offenen Schulhauses vorschlägt, erscheint wie die zeitgemäße Umsetzung von Washburnes individualisiertem Lernen. Und wie der große Pionier des Mastery Learning, so ist auch sein US -amerikanisch-bengalischer Urenkel im Geiste weise genug, neben den phantastischen Möglichkeiten die Grenzen zu sehen. Denn selbstverständlich soll nicht alles Lernen in der Schule von nun an Lernen am Computer sein. Etwa ein Fünftel des Schultags, so schlägt Khan vor, sollen Kinder mit ihren Software-Programmen verbringen. Der Computer übernimmt somit nicht die Herrschaft in der Schule, aber er hat gewaltige Auswirkungen für bestimmte Fächer. Aus der Belehrung im Klassenzimmer wird eine Lernwerkstatt – und das ist nicht nur ein Wort!
Beispiel: Mathematikunterricht
Man sollte es einmal ganz klar und offen aussprechen und sich nicht weiter etwas vormachen: Mathematik gehört nicht ins Klassenzimmer! Jedenfalls dann nicht, wenn wir von dem ausgehen, was wir kennen: einer Gruppe Gleichaltriger in einer Jahrgangsklasse.
Wenn es am Mathematikunterricht liegt, dass die meisten Schüler in der Schule scheitern und ihren avisierten Abschluss nicht schaffen, wenn 57 Prozent allen Nachhilfeunterrichts Mathe gilt, wenn die Rechenfähigkeiten in der Bevölkerung seit langer Zeit abnehmen und wenn es immer weniger Lehrer gibt, die das Fach in der Schule unterrichten wollen – dann ist etwas grundlegend faul. Menschen in Deutschland sind heute nicht dümmer als vor fünfzig Jahren, und Mathematik ist auch nicht schwerer geworden. Und dennoch fluchen so viele Menschen, Lehrer wie Kinder und Eltern, über die Praxis dieses Schulfachs, werden mögliche Karrieren zerstört und lebenslange Phobien gezüchtet. Wie viele Abiturienten erinnern sich nur noch mit Schaudern an ihren Mathe-Unterricht und können ihren Kindern schon beim Stoff des neunten Schuljahres nicht mehr helfen? Kopfschüttelnd fragen sie sich, wie sie sich damals da durchwurschteln konnten. Denn wirklich beherrschen tun sie Mathe trotz zwölf oder dreizehn Jahren Schule nicht – in der Breite ein erbärmliches Resultat.
Woran liegt das? Ein PISA -Befund aus dem Jahr 2003, was auch immer man von ihm halten mag, besagt, dass in 35 Prozent der befragten Klassen Schülerinnen und Schüler einen Mathematikunterricht beschreiben, » in dem die Lehrkraft ihrer fachlichen und persönlichen Verantwortung nicht gerecht wird « . In 15 Prozent der untersuchten Klassen meinen Schüler gar, eine Situation vorzufinden, » die durch pädagogische Verantwortungslosigkeit, mathematische Einfallslosigkeit und Rücksichtslosigkeit im Durchgang durch den Stoff gekennzeichnet ist « . 113
Vermutlich kommt es in deutschen Schulen nicht selten vor, dass Mathe-Lehrer für ihre pädagogische Rolle nicht allzu gut geeignet sind. Nicht wenige haben kaum Verständnis für Kinder, die sich mit Mathe schwertun. Solche Lehrer glauben leicht, dass diese Kinder schlichtweg nicht intelligent genug seien und folglich auf einem Gymnasium oder einer Realschule » nichts zu suchen « hätten. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Lehrer. Und das Problem des Fachs ist völlig verkannt, wenn man Mathe-Lehrern pauschal ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Denn kein anderer Fachlehrer dürfte es in der Schule so schwer haben, allenfalls noch die Kollegen aus der Physik und der Chemie. Und wenn Mathe-Lehrer in höherem Maße als andere Lehrer zu Sarkasmus und Rigorosität neigen sollten, dann deswegen, weil der Mathe-Unterricht, so wie er an konventionellen Schulen
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