Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Carmel und Cas wild geworden und ausgestiegen. Wir konnten ihn nicht aufhalten. Er hat gesagt, er will nach Hause laufen, und da es nicht so weit weg war, haben wir uns nichts dabei gedacht. Als er heute nicht in die Schule gekommen ist, dachten wir, er hätte einen Kater.« Will reckt das Kinn. Er behält in schwierigen Situationen offenbar mühelos den Überblick. »Wir werden ein paar Tage oder Wochen mit Suchmannschaften leben
müssen. Sie werden uns sicher mehrmals befragen. Aber irgendwann werden sie es aufgeben.«
Will sieht mich an. Egal, was für ein großes Arschloch Mike war, er war Wills Freund, und jetzt würde Will Rosenberg mich am liebsten mit Blicken vernichten. Gäbe es keine Zuschauer, dann würde er es vielleicht sogar versuchen – indem er dreimal die Hacken zusammenknallt oder so.
Vielleicht hat er sogar recht, vielleicht ist es wirklich meine Schuld. Ich hätte einen anderen Weg zu Anna finden können. Aber zum Teufel damit. Mike Andover hat mir ein Brett auf den Hinterkopf gedroschen und mich in ein verlassenes Haus geworfen, nur weil ich mit seiner Exfreundin geredet habe. Er hatte es nicht verdient, in der Mitte durchgerissen zu werden, aber einen kräftigen Tritt in den Arsch hätte er auf jeden Fall verdient gehabt.
Chase hält sich mit beiden Händen den Kopf und stammelt etwas über das große Chaos, das nun ausgebrochen sei, und was für ein Albtraum es wäre, die Cops anzulügen. Offenbar fällt es ihm leichter, sich auf die nicht übernatürlichen Aspekte des Problems zu beschränken. Die meisten Leute reagieren so. Genau deshalb können Wesen wie Anna so lange geheim bleiben.
Will knufft ihn gegen die Schulter. »Was tun wir mit ihr?«, fragt er.
Zuerst denke ich, er meint Carmel.
»Du kannst nichts gegen sie tun«, wirft Thomas ein. Zum ersten Mal seit gefühlten Jahrzehnten ergreift er
das Wort und spricht genau das aus, was ich denke. »Sie spielt in einer anderen Liga als du.«
»Sie hat meinen besten Freund umgebracht«, faucht Will. »Und jetzt soll ich gar nichts tun?«
»Genau.« Thomas zuckt die Achseln und grinst auf eine Weise, die ihm bei Gelegenheit einen Faustschlag ins Gesicht einbrocken wird.
»Wir müssen doch irgendetwas unternehmen.«
Ich blicke zu Carmel. Sie hat die Augen weit aufgerissen und sieht todtraurig aus, das blonde Haar hängt ihr in Strähnen im Gesicht. Sie hat garantiert noch nie so emo ausgesehen wie in diesem Moment.
»Wenn Anna echt ist«, fährt sie fort, »dann sollten wir etwas unternehmen. Wir können sie doch nicht einfach weiter Leute umbringen lassen.«
»Das werden wir auch nicht«, tröstet Thomas sie. Am liebsten würde ich ihn auf die Bänke werfen. Hat er meine Message eben nicht mitbekommen, dass jetzt nicht der richtige Moment ist?
»Hört mal«, wende ich ein. »Wir springen jetzt sicher nicht mit den Harlem Globetrotters in einen grünen Lieferwagen und schalten sie aus. Wer das Haus betritt, ist tot. Wenn ihr nicht ebenfalls zerfetzt werden und eure eigenen Eingeweide auf dem Boden anstarren wollt, haltet ihr euch dem Haus fern.« Eigentlich wollte ich nicht so grob mit ihnen umspringen, aber dies ist eine Katastrophe. Jemand, den ich hineingezogen habe, ist tot, und jetzt brennen diese Grünschnäbel darauf, seinem Beispiel zu folgen. Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, derart in die Bredouille
zu geraten. Ich hab echt ziemlich schnell ein Riesenchaos angerichtet.
»Ich gehe wieder hin«, verkündet Will. »Ich muss etwas tun.«
»Ich komme mit.« Carmel funkelt mich an, um mich zu warnen, sie ja nicht davon abzuhalten. Offensichtlich vergisst sie, dass ich vor weniger als vierundzwanzig Stunden in ein totes Gesicht voller dunkler Adern geblickt habe. Ihr gespielter Mut beeindruckt mich nicht.
»Keiner von euch geht irgendwohin«, sage ich und füge zu meiner Überraschung hinzu: »Nicht ohne Vorbereitung.« Thomas vergisst, den Mund wieder zu schließen. »Thomas hat einen Großvater, einen spirituellen Typ. Er heißt Morfran Starling und kennt sich mit Anna aus. Wir müssen zuerst mit ihm reden, ehe wir etwas unternehmen.« Ich knuffe Thomas, und er versucht, einigermaßen normal dreinzuschauen.
»Wie tötet man so was eigentlich?«, fragt Chase. »Jagt man ihr einen Pfahl durchs Herz?«
Ich würde gern noch einmal darauf hinweisen, dass Anna keine Vampirin ist, aber ich werde warten, bis er silberne Kugeln erwähnt, ehe ich ihn von der Bank stoße.
»Stell dich nicht so dumm«, schimpft Thomas. »Sie
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