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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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Lebendköder beim Angeln.
    »Natürlich nicht.« Ich suche mir im Küchenschrank ein Aspirin. Das Zeug habe ich mir angewöhnt, nachdem ich Stephen Kings Shining gelesen hatte. »Er ist ein Hexenkater.«
    Thomas bricht den Blickkontakt ab und funkelt mich an. Er merkt es, wenn man sich über ihn lustig macht. Ich lächle ihn an und werfe ihm eine Dose Cola hinüber. Er öffnet sie knackend dicht vor Tybalt, worauf der Kater fauchend vom Tisch springt und mit einem gereizten Knurren an mir vorbeimarschiert. Ich greife nach unten, um ihm den Rücken zu kraulen, doch er gibt mir mit peitschendem Schwanz zu verstehen, dieser verlotterte Typ solle umgehend aus dem Haus verschwinden.
    »Was willst du jetzt wegen Mike tun?« Thomas starrt mich mit weit aufgerissenen Augen über die Coladose hinweg an.
    »Schadensbegrenzung«, sage ich. Etwas anderes kann ich sowieso nicht tun. Wäre ich nicht die vergangene Nacht über ohnmächtig gewesen, dann hätte ich weitaus mehr Möglichkeiten, aber nun muss ich einfach das Beste daraus machen. Ich muss Carmel finden und mit Will reden. Die beiden müssen den Mund halten. »Wir sollten jetzt zur Schule fahren.«
    Er zieht die Augenbrauen hoch, als wollte ich ihn verkohlen.
    »Was erwartest du?«, frage ich. »Du hängst mit drin. Du wolltest dabei sein, und jetzt bist du dabei, herzlichen Glückwunsch. Du kannst nicht mehr zurück.«
    Thomas schluckt. Ich muss ihm zugutehalten, dass er nichts sagt.
     
    Die Flure in der Schule sind menschenleer. Zuerst denke ich, jetzt ist alles vorbei, weil hinter den verschlossenen Türen bereits Totenwachen bei Kerzenschein für Mike stattfinden.
    Dann wird mir klar, dass ich ein Idiot bin. Die Flure sind leer, weil wir mitten in der dritten Stunde angekommen sind.
    Wir bleiben bei unseren Spinden stehen, um den neugierigen Fragen umherstreifender Lehrkörper aus dem Weg zu gehen. Ich will nicht in den Unterricht. Wir werden einfach bis zur Mittagspause in der Nähe von Carmels Spind warten, in der Hoffnung, dass sie dort auftauchen wird und nicht krank und bleich zu Hause im Bett liegt. Aber selbst wenn – Thomas sagt, er weiß, wo sie wohnt. Wir könnten später dort vorbeifahren. Mit etwas Glück hat sie noch nicht mit ihren Eltern gesprochen.
    Als die Glocke läutet, fahre ich vor Schreck fast aus der Haut, und die Kopfschmerzen werden von dem Lärm auch nicht besser. Ich blinzle krampfhaft und halte in der Menge Ausschau. Ein unendlicher Strom ähnlich gekleideter Körper ergießt sich in die Flure. Ich seufze erleichtert, als ich Carmel entdecke. Sie ist etwas bleich, als hätte sie geweint oder sich übergeben, aber sie ist immerhin gut gekleidet und hat ihre Bücher dabei. Also ist es halb so schlimm.
    Eine der beiden Brünetten von gestern Abend – ich
weiß nicht welche, nennen wir sie einfach Natalie – hüpft neben ihr her und plappert über irgendetwas. Carmels Reaktion ist oscarverdächtig: der schief gelegte Kopf, der aufmerksame Blick, die verdrehten Augen und das Lachen, alles wirkt mühelos und aufrichtig. Dann sagt sie etwas, lenkt irgendwie ab, und schon macht Natalie kehrt und springt davon. Carmels Maske verschwindet schlagartig.
    Sie ist weniger als drei Meter entfernt, als sie endlich den Blick hebt und mich vor dem Spind bemerkt. Sie reißt die Augen weit auf, ruft meinen Namen, sieht sich um und kommt rasch näher, als wollte sie nicht belauscht werden.
    »Du … du lebst ja noch.« Es klingt erstickt, als wäre es ein komisches Gefühl für sie, das zu sagen. Sie mustert mich von oben bis unten, als rechnete sie mit blutenden Wunden oder offenen Knochenbrüchen. »Wie ist das möglich?«
    Ich nicke in Thomas’ Richtung, der rechts neben mir herumlungert und Carmel beobachtet. »Er hat mich herausgeholt.«
    Carmel schenkt ihm einen Blick und lächelt. Sonst sagt sie nichts. Sie umarmt mich nicht, womit ich eigentlich fast gerechnet habe. Gerade weil sie es nicht tut, mag ich sie noch mehr.
    »Wo sind Will und Chase?«, erkundige ich mich. Die Frage, ob sonst noch jemand eingeweiht ist, schenke ich mir. Die Schüler verhalten sich völlig normal und schwatzen wie gewohnt. Es ist sonnenklar, dass niemand Bescheid weiß. Wir müssen aber noch einiges
auf die Reihe kriegen und unsere Geschichten aufeinander abstimmen.
    »Ich weiß nicht. Normalerweise sehe ich sie erst in der Mittagspause. Ich hab keine Ahnung, welche Kurse sie haben.« Sie schlägt die Augen nieder. Sie hat das Gefühl, sie sollte etwas über Mike

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