Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
hell genug war.«
»Du bist immer noch so«, sage ich entsetzt. »Nichts hat sich verändert.«
Als ich sage, dass sich nichts verändert hat, kneift sie die Augen zusammen, doch dann atmet sie aus, überwindet sich und lächelt mich an. Es gelingt ihr nicht ganz, sie sieht einfach zu sehr nach Pinhead aus, der sich als Gothic-Mädchen versucht.
»Cassio, begreifst du denn nicht? Alles hat sich verändert!« Sie sinkt zum Boden herab, doch die Augen bleiben schwarz, und die Haare bewegen sich weiter wie Tentakel. »Ich werde niemanden mehr töten. Ich wollte es nie, aber was dies auch ist, es ist ein Teil von mir. Ich dachte, es sei der Fluch, und vielleicht trifft das auch zu, aber …« Sie schüttelt den Kopf. »Ich musste es probieren, nachdem du gegangen bist. Ich musste es herausfinden.« Sie erwidert meinen Blick. Die Tintenschwärze versickert, darunter kommt wieder Anna zum Vorschein. »Der Kampf ist vorbei, ich habe gewonnen. Du hast mir geholfen zu gewinnen. Ich bestehe nicht mehr aus zwei Hälften. Dir kommt das bestimmt abscheulich vor, aber ich fühle mich … stark. Sicher. Vielleicht drücke ich mich nicht sehr verständlich aus.«
Es ist eigentlich sehr leicht zu verstehen. Für jemanden, der so grausam ermordet wurde, ist es vermutlich ungeheuer wichtig, sich sicher zu fühlen.
»Ich verstehe das«, sage ich leise. »Diese Kraft hält dich aufrecht. Bei mir ist es so ähnlich. Wenn ich
mit meinem Athame in der Hand durch ein Spukhaus laufe, fühle ich mich stark. Unberührbar. Es ist wie ein Rausch. Ich weiß nicht, ob die anderen Menschen jemals so etwas empfinden.« Ich scharre mit den Füßen. »Dann bin ich dir begegnet, und jetzt ist alles im Eimer.«
Sie lacht.
»Ich komme wie ein aufgeblasener Wicht hier herein, und du spielst Handball mit mir.« Ich grinse. »Da fühlt sich jeder Junge wie ein richtiger Mann.«
Sie grinst zurück. »Ich habe mich jedenfalls ziemlich männlich gefühlt.« Das Lächeln verschwindet. »Du hast es heute nicht mitgebracht. Ich kann dein Messer immer spüren, wenn es in der Nähe ist.«
»Nein. Will hat es mir weggenommen. Aber ich hole es mir zurück. Es hat meinem Vater gehört, und ich werde es ihm bestimmt nicht überlassen.« Dann werde ich nachdenklich. »Wie spürst du es überhaupt? Und wie fühlst du dich dabei?«
»Als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich nicht, was es war. Es war wie ein Klang in den Ohren oder ein Bauchgefühl. Ein Summen, das man hinter der Musik gar nicht richtig hört. Es ist sehr mächtig, und obwohl ich wusste, dass es mich töten sollte, hat es mich angezogen. Als dein Freund dann auf mich eingestochen hat …«
»Er ist nicht mein Freund«, widerspreche ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Das kann man wirklich nicht sagen.«
»Es war, als würde ich in die Klinge hineinströmen,
und als sei ich schon halb dorthin unterwegs, wo es uns hinschickt. Aber ich habe mich geirrt. Es besitzt einen eigenen Willen und wollte in deiner Hand bleiben.«
»Dann hätte es dich also tatsächlich nicht getötet«, stelle ich erleichtert fest. Ich will nicht, dass Will mein Messer benutzt. Es ist mir egal, wie kindisch das klingt. Der Athame gehört mir.
Anna wendet sich ab und denkt nach. »Doch, es hätte mich durchaus töten können«, sagt sie ernst. »Es ist nämlich nicht nur an dich, sondern auch an etwas anderes gebunden. Etwas Dunkles. Als ich geblutet habe, konnte ich etwas riechen, das mich ein wenig an Elias’ Pfeife erinnert hat.«
Ich weiß nicht, woher die Kraft des Athame stammt. Gideon hat es mir nie verraten, falls er es überhaupt weiß. Aber wenn diese Macht von etwas Dunklem stammt, dann soll es meinetwegen so sein. Ich benutze es für etwas Gutes. Und was den Rauch von Elias’ Pfeife angeht …
»Wahrscheinlich hattest du nach deiner Ermordung einfach Angst davor«, sage ich sanft. »Du weißt schon – man träumt von Zombies, nachdem man einen Film wie Land of the Dead gesehen hat.«
»Träumst du von einem Land der Toten? Willst du wirklich dort leben?«, fragt sie. »Willst du ewig ein Junge sein, der Geister tötet und damit seinen Lebensunterhalt verdient?«
»Nein. Ich träume von Pinguinen, die Brücken bauen. Frag mich bloß nicht warum.«
Sie lächelt und schiebt sich die Haare hinter das Ohr. Als ich es beobachte, regt sich etwas in meiner Brust. Was mache ich hier? Warum bin ich hergekommen? Ich kann mich kaum erinnern.
Irgendwo im Haus knallt eine Tür zu. Anna zuckt zusammen. Ich
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