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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ihm wieder
    der giftige Herr. Die Auseinandersetzung zog sich in die Länge und führte zu keinem Ergebnis. Ljewin wunderte sich,
    daß über diesen Gegenstand so lange gestritten wurde, namentlich da Sergei Iwanowitsch auf seine Frage, ob er denn
    glaube, daß Geld veruntreut sei, erwiderte:
    »Oh, nicht doch! Er ist ein ehrlicher Mensch. Aber wir mußten dieser altmodischen Gewohnheit einer
    patriarchalischen Behandlung von Adelssachen einen Stoß versetzen.«
    Am fünften Tage wurden die Wahlen der Kreis-Adelsmarschälle abgehalten. Dieser Tag war in mehreren Kreisen recht
    stürmisch. Im Kreise Selesnjew wurde Swijaschski ohne Ballotage einstimmig wiedergewählt, und es fand bei ihm an
    diesem Tage ein Festessen statt.

27
    Auf den sechsten Tag waren die Gouvernementswahlen angesetzt. Die beiden Säle, der große und der kleine, waren
    voll von Edelleuten in mannigfachen Uniformen. Viele hatten sich nur für diesen einen Tag eingefunden. Bekannte,
    die einander lange nicht gesehen hatten und von denen der eine aus der Krim, ein anderer aus Petersburg, ein
    dritter aus dem Auslande gekommen war, begegneten einander in diesen Sälen. Am Gouvernementstische, unter dem Bilde
    des Zaren, fanden die Verhandlungen statt.
    Die Edelleute hatten sich sowohl im großen wie im kleineren Saale in zwei Lager gruppiert, und aus mancherlei
    Anzeichen war zu erkennen, daß jede Partei vor der anderen ihre Geheimnisse hatte: feindselige, mißtrauische Blicke
    flogen hinüber und herüber; das Gespräch verstummte bei Annäherung fremder Personen; manche begaben sich sogar
    flüsternd weg nach dem entfernten Vorsaal. Dem Äußeren nach schieden sich die Edelleute scharf in zwei
    Altersklassen: die Alten und die Jungen. Die Alten trugen größtenteils entweder alte zugeknöpfte Adelsuniformen mit
    Hut und Degen oder je nach ihrer früheren dienstlichen Stellung ihre besonderen Marine-, Kavallerie- und
    Infanterie-Uniformen. Die Uniformen der alten Edelleute waren von altmodischem Schnitt, mit Puffen an den
    Schultern; sie waren offenbar zu klein geworden, zu kurz in der Hüfte und zu eng, als wenn ihre Träger aus ihnen
    herausgewachsen wären. Die Jungen dagegen trugen aufgeknöpfte Adelsuniformen, lang in der Hüfte und breit in den
    Schultern, mit weißen Westen, oder auch Uniformen mit schwarzem Kragen und goldgestickten Lorbeerblättern, dem
    Abzeichen des Justizministeriums. Zu den Jungen gehörten auch einige Hofuniformen, die hier und da zur
    Verschönerung des Schwarmes beitrugen.
    Aber diese Teilung in Junge und Alte fiel nicht durchweg mit der Teilung der Parteien zusammen. Einige der
    Jungen gehörten nach Ljewins Beobachtungen zur alten Partei, und umgekehrt flüsterten einige der ältesten Edelleute
    mit Swijaschski und waren also offenbar eifrige Anhänger der neuen Partei.
    Ljewin stand im kleinen Saale, wo man rauchen und an einem Schanktisch etwas zu essen bekommen konnte, neben
    einer Gruppe seiner Parteigenossen, hörte dem Gespräche zu und strengte vergeblich seine Geisteskräfte an, um das,
    was gesprochen wurde, zu verstehen. Sergei Iwanowitsch war der Mittelpunkt, um den sich die andern gruppierten.
    Augenblicklich hörte er mit an, was Swijaschski und Chljustow sagten, der Adelsmarschall eines anderen Kreises, der
    zu ihrer Partei gehörte. Chljustow wollte sich nicht dazu verstehen, mit seinen Kreisangehörigen zu Snetkow zu
    gehen und ihn zu bitten, daß er doch von neuem kandidieren möge; Swijaschski dagegen redete ihm zu, dies doch zu
    tun, und auch Sergei Iwanowitsch billigte diesen Plan. Ljewin begriff nicht, zu welchem Zwecke eine feindliche
    Partei einen Adelsmarschall, den sie wegballotieren wollte, bitten sollte zu kandidieren.
    Stepan Arkadjewitsch, der soeben einen Bissen gegessen und ein Gläschen getrunken hatte und sich nun mit dem
    parfümierten, farbig geränderten Batisttaschentuch den Mund wischte, trat in seiner Kammerherrenuniform zu
    ihnen.
    »Wir werden die feindliche Stellung nehmen, Sergei Iwanowitsch!« sagte er, indem er die beiden Hälften seines
    Backenbartes sorgsam auseinanderstrich.
    Und nachdem er dem Gespräch ein Weilchen zugehört hatte trat er der Meinung Swijaschskis bei.
    »An einem Kreise ist es genug, und Swijaschski kann es nicht tun, weil schon allgemein bekannt ist, daß er zur
    Opposition gehört«, sagte er, und dies war allen außer Ljewin verständlich.
    »Nun, Konstantin, du scheinst ja auch schon in Geschmack gekommen zu sein?« fügte er, zu Ljewin

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