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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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im voraus kennt und nur auf dem zweifelhaften Wege des Verstandes wieder zu dem zurückkehren will, was allen von vornherein bekannt ist?
     
    Nun wohl, man versetze einmal die Kinder in die Lage, daß sie sich alles allein beschaffen müßten, sich selbst das Geschirr herstellen, selbst die Milch melken müßten und so weiter. Würden sie dann Mutwillen treiben? Sie würden Hungers sterben. Nun wohl, man lasse uns leben mit unseren Leidenschaften und Gedanken, aber ohne eine Vorstellung von einem einzigen Gotte und Schöpfer oder ohne eine Vorstellung davon, was das Gute ist, ohne ein Verständnis für das sittlich Schlechte!
     
    Nun schön, baut einmal ohne diese Begriffe etwas auf!
     
    Wir verfallen nur deswegen darauf, zu zerstören, weil wir in geistigem Sinne satt sind. Die reinen Kinder!
     
    Woher habe ich diese freudige, mit dem Bauern gemeinsame Erkenntnis, das einzige, was mir die Ruhe der Seele verleiht? Wo habe ich sie herbekommen?
     
    Ich, der ich mit der Vorstellung von Gott erzogen bin und mein ganzes Leben mit den geistigen Gütern erfüllt habe, die mir das Christentum gegeben hat, und völlig erfüllt von diesen Gütern bin und durch sie lebe, ich zerstöre sie, wie die Kinder, weil ich kein Verständnis für sie habe, das heißt, ich will das zerstören, wodurch ich lebe. Aber sobald in meinem Leben ein wichtiger Augenblick kommt, dann gehe ich, wie die Kinder, wenn sie frieren und hungrig sind, zu Ihm hin, und habe in noch geringerem Grade als die Kinder, die die Mutter für ihre kindlichen Unarten schilt, eine Empfindung dafür, daß meine kindischen Versuche, vor lauter Wohlbefinden Tollheiten zu treiben, mir verziehen werden.
     
    Ja, ja, was ich weiß, weiß ich nicht durch den Verstand, sondern es ist mir gegeben, mir geoffenbart, und ich weiß es mit dem Herzen, weiß es durch den Glauben an das wichtigste Stück von dem, was die Kirche bekennt.‹
     
    »Die Kirche? Die Kirche!« sagte Ljewin mehrmals vor sich hin. Er drehte sich auf eine andere Seite und blickte, auf den Arm gestützt, in die Ferne, nach der Herde, die am gegenüberliegenden Ufer zum Flusse hinabstieg.
     
    ›Aber kann ich alles das glauben, was die Kirche bekennt?‹ dachte er, indem er sich selbst prüfte und alles erwog, wodurch seine jetzige Ruhe gestört werden könnte. Er rief sich absichtlich jene Glaubenssätze der Kirche ins Gedächtnis zurück, die ihm immer am seltsamsten erschienen waren und am meisten Anstoß gegeben hatten. ›Die Schöpfung? Aber wodurch habe ich denn meinerseits das Sein erklärt? Durch das Sein? Durch nichts? ... Der Teufel und die Sünde. Aber wodurch erkläre ich denn das Böse? ... Der Erlöser? ...
     
    Aber ich weiß nichts, nichts weiß ich und kann weiter nichts wissen als eben nur das, was mir wie allen anderen Menschen gesagt worden ist.‹
     
    Und es schien ihm jetzt, daß es unter den Glaubenssätzen der Kirche keinen einzigen gebe, der dem wichtigsten Stücke widerstritte: dem Glauben an Gott, dem Glauben an das Gute als einzige Bestimmung des Menschen.
     
    Unter jeden Glaubenssatz der Kirche konnte man den Glaubenssatz schreiben, daß man der Gerechtigkeit dienen müsse und nicht dem eigenen Vorteil. Und keiner jener kirchlichen Glaubenssätze widerstritt diesem Satze, ja es war vielmehr ein jeder von ihnen unumgänglich notwendig, damit sich jenes größte, beständig auf der Erde sichtbare Wunder vollziehe, das darin besteht, daß es einem jeden, im Verein mit Millionen verschiedenartiger Menschen, Weisen und Narren, Kindern und Greisen, mit allen, mit Bauern, mit Lwow, mit Kitty, mit Bettlern und Kaisern, möglich ist, in unzweifelhafter Weise ein und dasselbe zu verstehen und das Seelenleben zu führen, um dessentwillen allein das Leben lebenswert ist und das allein in Achtung bei uns steht.
     
    Auf dem Rücken liegend, blickte er jetzt hinauf nach dem hohen, wolkenlosen Himmel. ›Weiß ich etwa nicht, daß dies ein unendlicher Raum und nicht ein rundes Gewölbe ist? Aber wie sehr ich auch die Augen zusammenkneifen und meine Sehkraft anstrengen mag, ich kann ihn immer nur als rund und begrenzt sehen; und obwohl ich weiß, daß ich einen unendlichen Raum vor mir habe, handle ich unzweifelhaft richtig, wenn ich mich begnüge, ein festes, blaues Gewölbe zu sehen, richtiger, als wenn ich mich anstrenge, über dieses Gewölbe hinauszublicken.‹
     
    Ljewin hörte nun auf zu denken und lauschte gleichsam nur auf die geheimnisvollen Stimmen in seinem Innern, die in

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