Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
Staate den größten Nutzen bringen mußte. Sobald der Diener den Tee
    aufgetragen und das Zimmer wieder verlassen hatte, stand Alexei Alexandrowitsch auf und trat an seinen
    Schreibtisch. Nachdem er die Mappe mit den laufenden Angelegenheiten in die Mitte der Platte geschoben hatte, nahm
    er mit einem ganz leisen, selbstzufriedenen Lächeln einen Bleistift aus dem Ständer und vertiefte sich in die
    Lektüre eines von ihm eingeforderten umfangreichen und schwierigen Aktenstückes, das sich auf den gegenwärtigen
    Fall bezog. Der aber war folgender Art: Eine vermeintliche Eigentümlichkeit Alexei Alexandrowitschs in seiner
    staatsmännischen Tätigkeit, ein nach seiner Überzeugung ihm besonders eigener Charakterzug, den sich aber jeder
    hervorragende Beamte zuschreibt, ein Charakterzug, der, im Verein mit seinem hartnäckigen Ehrgeiz, seiner klugen
    Zurückhaltung, seiner Ehrenhaftigkeit und seinem Selbstvertrauen, ihm zu seiner glänzenden Laufbahn verholfen
    hatte, bestand in der Geringschätzung des amtlichen Aktenwesens, in dem Dringen auf Einschränkung des amtlichen
    Hin- und Herschreibens zwischen den Behörden, in der Absicht, nach Möglichkeit unmittelbar an den Kern einer jeden
    Frage heranzutreten, und in seiner Sparsamkeit. Nun hatte sich in der berühmten Kommission vom 2. Juni etwas
    Eigenartiges zugetragen: die Angelegenheit der Berieselung der Felder im Gouvernement Saraisk, die zum
    Dienstbereich des Ministeriums gehörte, in dem Alexei Alexandrowitsch arbeitete, und die allerdings ein krasses
    Beispiel unfruchtbarer Ausgaben und papierner Behandlungsweise bot, diese Angelegenheit war von einem andern
    Ministerium zur Sprache gebracht worden. Alexei Alexandrowitsch wußte, daß die tadelnde Kritik begründet war. Diese
    Berieselung der Felder im Gouvernement Saraisk war von dem Vorgänger seines Vorgängers eingerichtet worden. Und in
    der Tat, eine Menge Geld war für diese Sache bereits aufgewandt worden und wurde noch fortdauernd dafür aufgewandt,
    und zwar völlig ertraglos; es war klar, daß die ganze Sache zu nichts führen konnte. Alexei Alexandrowitsch hatte,
    als er in sein jetziges Amt eintrat, dies sofort erkannt und sich vorgenommen, die Sache in Angriff zu nehmen; aber
    in der ersten Zeit, wo er sich in seiner Stellung noch nicht hinreichend befestigt fühlte, hatte er bedacht, daß
    ein Eingreifen die Interessen gar zu vieler Leute verletzen würde und daher unklug sei; und später hatte er, stark
    mit anderen Dingen beschäftigt, diese Sache einfach vergessen. Sie ging wie all solche Sachen nach dem
    Beharrungsgesetze von selbst in demselben Geleise weiter. (Viele Leute hatten davon ihren Lebensunterhalt, so
    namentlich auch eine sehr moralische und musikalische Familie, deren sämtliche Töchter Saiteninstrumente spielten.
    Alexei Alexandrowitsch kannte diese Familie und war Brautvater bei einer der älteren Töchter gewesen.) Daß ein
    feindliches Ministerium diese Angelegenheit aufrührte, betrachtete Alexei Alexandrowitsch als eine wenig ehrenhafte
    Handlungsweise, da es in jedem Ministerium noch ganz andere Sachen gebe, an denen dennoch aus einer Art von
    dienstlichem Anstandsgefühl niemand rühre. Da man ihm aber nun einmal den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, so
    hatte er ihn kühn aufgenommen und die Einsetzung einer besonderen Kommission verlangt zum Zwecke des Studiums und
    der Revision der Arbeiten der Kommission für Berieselung der Felder im Gouvernement Saraisk; aber zur Vergeltung
    hatte er nun auch seinerseits diesen Herren nichts durchgehen lassen. Er hatte auch noch die Einsetzung einer
    besonderen Kommission in Sachen der Verwaltungseinrichtungen bei den kleinen Volksstämmen nichtrussischer
    Nationalität verlangt. Diese Angelegenheit der Verwaltungseinrichtungen der Fremdvölker war zufällig in der
    Kommission vom 2. Juni zur Sprache gekommen, und Alexei Alexandrowitsch hatte mit allem Nachdruck betont, daß diese
    Angelegenheit bei der bedauernswerten Lage der Fremdvölker schlechterdings keinen Aufschub dulde. In der
    Komiteesitzung hatte diese Angelegenheit die Veranlassung zu einem scharfen Wortwechsel zwischen mehreren
    Ministerien gegeben. Das gegen Alexei Alexandrowitsch feindlich gesinnte Ministerium hatte darauf den Beweis
    geführt, daß die Fremdvölker sich in einem geradezu blühenden Zustande befänden und daß die vorgeschlagene
    Umgestaltung der Verwaltungseinrichtungen diesen blühenden Zustand möglicherweise vernichten könne; wenn

Weitere Kostenlose Bücher