Anna Karenina
Gesicht strahlte von einem glückseligen Lächeln.
»Ich fühle mich auch so wohl! Ich fahre nirgends mehr hin, am wenigsten nach Moskau.«
»Woran hast du denn eben gedacht?«
»Ich? Ich dachte ... Nein, nein, geh nur und schreib weiter; laß dich nicht stören!« sagte sie, indem sie die
Lippen streng zusammenzog. »Ich habe jetzt auch zu tun; ich muß diese Löchelchen ausschneiden, siehst du wohl?«
Sie nahm die Schere und fing an auszuschneiden.
»Nein, sag mir doch, woran du gedacht hast«, bat er, setzte sich zu ihr und verfolgte die kreisförmige Bewegung
der kleinen Schere.
»Ach, woran ich gedacht habe? Ich habe an Moskau gedacht, und an deinen Nacken habe ich gedacht.«
»Wodurch habe ich es verdient, daß gerade mir ein solches Glück zugefallen ist? Es ist doch ordentlich
unnatürlich. Es ist gar zu schön!« sagte er und küßte ihr die Hand.
»Ich finde im Gegenteil, je schöner es ist, um so natürlicher ist es.«
»Aber da hast du ja ein Zottelchen!« sagte er, behutsam ihren Kopf herumdrehend. »Ein Zottelchen! Sieh mal,
hier! Aber nein, nein, wir wollen uns wieder an unsere Arbeit machen.«
Aber die Arbeit wurde trotzdem nicht mehr fortgesetzt, und sie fuhren wie ertappte Sünder auseinander, als Kusma
hereinkam, um zu melden, daß der Tee aufgetragen sei.
»Ist der Bote schon aus der Stadt zurück?« fragte ihn Ljewin.
»Diesen Augenblick ist er gekommen; er packt gerade die Sachen aus.«
»Nun, dann komm nur recht bald«, sagte Kitty zu Ljewin, indem sie aus dem Zimmer ging. »Sonst lese ich die
Briefe ohne dich. Und dann wollen wir vierhändig spielen.«
Als er allein geblieben war, legte er seine Hefte in die neue Mappe, die Kitty für ihn gekauft hatte, und wusch
sich die Hände in dem neuen Waschbecken mit dem neuen eleganten Zubehör; es waren das lauter Dinge, die mit ihr
zusammen hier ihren Einzug gehalten hatten. Ljewin lächelte über die vergnügliche Empfindung, die er dabei hatte,
und schüttelte mißbilligend über sie den Kopf; es quälte ihn ein Gefühl, das mit Reue einige Ähnlichkeit hatte.
Seine jetzige Lebensweise wies eine Art von beschämender Verweichlichung auf, so etwas Kapaunisches, wie er selbst
es zu nennen pflegte. ›Das ist nicht die richtige Lebensweise‹, dachte er. ›Es sind nun schon fast drei Monate
vergangen, und ich habe so gut wie nichts getan. Heute ist es beinahe das erstemal gewesen, daß ich mich ernsthaft
an die Arbeit gemacht habe, und was habe ich geschafft? Kaum daß ich angefangen hatte, habe ich die Arbeit auch
schon wieder liegenlassen. Selbst meine gewohnte Tätigkeit – auch die habe ich fast ganz aufgegeben. In der
Wirtschaft gehe und reite ich fast gar nicht mehr umher, bald weil es mir zu schwer wird, Kitty zu verlassen, bald
weil ich sehe, daß es ihr ohne mich langweilig ist. Und ich hatte mir gedacht, das Leben vor der Verheiratung, das
wäre nur so ein halbes Leben, kaum zu rechnen, und nach der Verheiratung, da finge erst das wahre Leben an. Und nun
bin ich fast drei Monate verheiratet und habe noch nie die Zeit so müßig und nutzlos verbracht wie jetzt. Nein, so
geht das nicht; ich muß wieder anfangen. Selbstverständlich, sie ist nicht schuld daran. Ihr kann ich keinen
Vorwurf machen. Ich hätte selbst fester sein müssen, hätte meine Unabhängigkeit als Mann besser wahren sollen. So
aber kann es leicht dahin kommen, daß ich sowohl mich selbst wie auch sie an dieses Leben gewöhne.
Selbstverständlich, sie ist nicht schuld daran‹, sagte er zu sich selbst.
Aber nur sehr schwer wird sich ein Unzufriedener enthalten, das, womit er unzufrieden ist, einem andern und
namentlich dem, der ihm am nächsten steht, zum Vorwurf zu machen. Und auch bei Ljewin bildete sich die unklare
Vorstellung, daß zwar nicht eigentlich Kitty selbst daran schuld sei (schuld sein konnte sie überhaupt an nichts),
wohl aber ihre allzu oberflächliche, leichtfertige Erziehung. (›Dieser dumme Laffe, der Tscharski! Sie wollte ihn
abweisen, das weiß ich sicher, verstand es aber nicht zu machen.‹) ›Ja, außer für den Haushalt (dieses Interesse
besitzt sie wirklich) und für ihre Kleidung und für Handarbeiten hat sie keine ernsthaften Interessen. Sie hat kein
Interesse für das, was jetzt doch auch ihre eigene Angelegenheit ist, für die Landwirtschaft und die Bauern, kein
Interesse für die Musik, in der sie doch Tüchtiges leistet, kein Interesse für Bücher. Sie tut nichts und fühlt
sich dabei
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