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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Absichten in bezug auf Reinlichkeit,
    Bequemlichkeit und sogar Vornehmheit eingerichtet worden sind, sich aber dann durch das Publikum, das sie besucht,
    außerordentlich schnell in schmutzige Herbergen, immer noch mit dem trügerischen Firnis moderner Vervollkommnungen,
    verwandeln und eben durch diesen trügerischen Firnis sich noch übler ausnehmen als die altmodischen Gasthäuser, die
    einfach schmutzig sind. Dieses Gasthaus war bereits bei diesem Entwicklungszustande angelangt; der alte,
    verabschiedete Soldat in seiner schmutzigen Uniform, der an der Haustür eine Zigarette rauchte und einen Pförtner
    vorstellen sollte, und die gußeiserne, durchbrochene, düstere, unerfreuliche Treppe, und der Kellner in schmutzigem
    Frack mit seinem ungehobelten Wesen, und der Speisesaal mit dem verstaubten Strauß aus Wachsblumen als
    Tischschmuck, und der Schmutz, der Staub und die überall sichtbare Nachlässigkeit, und dazu noch eine gewisse
    neumodische, eisenbahnmäßige, selbstzufriedene Geschäftigkeit in diesem Gasthause; all das wirkte auf Ljewin und
    seine Frau nach dieser ersten Zeit ihres Ehelebens überaus abstoßend, namentlich auch, weil der trügerische
    Eindruck, den das Gasthaus zunächst machte, ganz und gar nicht zu der Wirklichkeit stimmte, die sie dann
    vorfanden.
    Wie immer, stellte sich nach der Frage, zu welchem Preise sie ein Zimmer wünschten, heraus, daß überhaupt kein
    einziges ordentliches Zimmer frei war: ein gutes Zimmer hatte ein Eisenbahnrevisor inne, ein anderes ein
    Rechtsanwalt aus Moskau, ein drittes die Fürstin Astafjewa, die von ihrem Landgut in die Stadt gekommen war.
    Verfügbar war augenblicklich nur ein einziges, schmutziges Zimmer; man stellte in Aussicht, daß das daneben
    gelegene zum Abend frei werden würde. Ljewin war recht ärgerlich auf seine Frau, weil eingetroffen war, was er
    erwartet hatte, nämlich daß er im Augenblick der Ankunft, wo er in höchster Angst und Aufregung um das Befinden
    seines Bruders war, für Kittys Unterkunft sorgen mußte, statt unverzüglich zu Nikolai hinzueilen; in solcher
    Stimmung führte er sie in das ihnen angewiesene Zimmer.
    »Geh nur, geh nur!« sagte sie und sah ihn mit einem schüchternen, schuldbewußten Blick an.
    Er ging schweigend aus der Tür und stieß draußen sofort auf Marja Nikolajewna, die von seiner Ankunft gehört,
    aber nicht gewagt hatte, zu ihm ins Zimmer hineinzugehen. Sie sah noch ganz ebenso aus, wie er sie in Moskau
    gesehen hatte: dasselbe wollene Kleid und die nackten Arme und der nackte Hals und dasselbe gutmütig stumpfe, etwas
    voller gewordene, pockennarbige Gesicht.
    »Nun, wie steht es? Wie geht es ihm?«
    »Sehr schlecht. Er wird nicht durchkommen. Er hat immer auf Sie gewartet Er ... Sie sind mit Ihrer Frau Gemahlin
    hier?«
    Ljewin begriff im ersten Augenblicke nicht, was sie in solche Verlegenheit versetzte; aber sie klärte ihn sofort
    darüber auf.
    »Ich will fortgehen, ich gehe in die Küche«, sagte sie. »Er wird sich sehr freuen. Er hat viel von ihr gehört
    und kennt sie und erinnert sich ihrer vom Auslande her.«
    Ljewin verstand nun, daß sie sich über seine Frau beunruhigte, und wußte nicht, was er ihr antworten sollte.
    »Kommen Sie, wir wollen zu ihm gehen!« sagte er.
    Aber kaum hatte er sich in Bewegung gesetzt, als sich die Tür seines Zimmers öffnete und Kitty herausblickte.
    Ljewin errötete vor Scham und vor Ärger über seine Frau, die sich und ihn in eine so peinliche Lage brachte; aber
    Marja Nikolajewna errötete noch mehr, so sehr, daß ihr beinahe die Tränen kamen. Sie krümmte sich ganz zusammen,
    faßte mit beiden Händen die Zipfel ihres Tuches und wickelte sie mit ihren roten Fingern hin und her; sie wußte
    nicht, was sie sagen und was sie tun sollte.
    Im ersten Augenblick sah Ljewin den Ausdruck lebhafter Neugier in dem Blick, mit dem Kitty diese ihr
    unbegreifliche, furchtbare Frauensperson betrachtete; aber das dauerte nur einen Augenblick.
    »Nun, wie steht es? Wie befindet er sich?« wandte sie sich an ihren Mann und dann auch an Marja Nikolajewna.
    »Hier auf dem Flur können wir doch nicht darüber reden!« sagte Ljewin und blickte ärgerlich zu einem Herrn hin,
    der gerade im Schlenderschritt, anscheinend nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, den Flur entlangging.
    »Nun, dann kommen Sie herein«, sagte Kitty, zu Marja Nikolajewna gewendet, die ihre Fassung wiedergewonnen
    hatte; aber als sie das betroffene Gesicht ihres Mannes bemerkte, fügte sie

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