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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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machen Sie, daß Sie hinauskommen!‹ Du verstehst dich
    ja darauf, den Mantel nach dem Winde zu hängen! Jawohl! Denk du lieber an dich selbst, wie du den Herrn bestiehlst
    und ihm seine Schuppenpelze wegnimmst!«
    »Ungebildeter Kommißsoldat!« sagte Kornei verächtlich und wandte sich zu der gerade ins Haus tretenden
    Kinderfrau: »Was sagen Sie dazu, Marja Jefimowna? Er hat die gnädige Frau hereingelassen, ohne jemandem ein Wort
    davon zu sagen. Alexei Alexandrowitsch kann jeden Augenblick aus seinem Zimmer kommen und ins Kinderzimmer
    gehen.«
    »Böse Geschichten, böse Geschichten!« erwiderte die Kinderfrau. »Halten Sie, Kornei Wasiljewitsch, den Herrn
    irgendwie auf, und ich will hinlaufen und sehen, daß ich sie wegbringe. Böse Geschichten, böse Geschichten!«
    Als die Kinderfrau ins Kinderzimmer trat, war Sergei gerade dabei, seiner Mutter zu erzählen, wie er und
    Nadjenka im Schlitten von einem Eisberg heruntergefahren und umgestürzt seien und sich dreimal überkugelt hätten.
    Sie hörte den Ton seiner Stimme, sah sein Gesicht und den lebhaft wechselnden Ausdruck darin und fühlte seine Hand
    in der ihrigen; aber sie verstand nicht, was er sagte. Daß sie fortgehen und ihn verlassen müsse, das war das
    einzige, was sie dachte und dessen sie sich bewußt war. Sie hörte auch Wasili Lukitschs Schritte, der an die Tür
    trat und hustete; sie hörte auch die Schritte der sich nähernden Kinderfrau; aber sie saß wie versteinert da und
    war weder imstande zu sprechen noch sich zu erheben.
    »Gnädige Frau, liebe gnädige Frau!« begann die Kinderfrau, indem sie zu Anna herantrat und ihr die Hände und die
    Schultern küßte. »Ei, da hat Gott unserm Geburtstagskinde eine Freude beschert! Sie haben sich auch gar nicht
    verändert.«
    »Ach, Sie gute Seele, ich wußte gar nicht, daß Sie noch hier im Hause sind«, sagte Anna, die einigermaßen wieder
    zur Besinnung kam.
    »Ich wohne nicht hier; ich wohne bei meiner Tochter; ich bin nur gratulieren gekommen, Anna Arkadjewna, liebe
    gnädige Frau!«
    Die Kinderfrau begann auf einmal zu weinen und ihr wieder die Hand zu küssen.
    Lächelnd und mit strahlenden Augen hielt Sergei mit der einen Hand seine Mutter, mit der anderen die Kinderfrau
    gefaßt und trampelte mit seinen kräftigen nackten Beinen auf dem Teppich umher. Daß seine liebe Kinderfrau gegen
    seine Mutter so zärtlich war, versetzte ihn in Entzücken.
    »Mama! Sie kommt oft zu mir, und jedesmal, wenn sie kommt ...« begann er, hielt aber inne, da er bemerkte, daß
    die Kinderfrau der Mutter etwas zuflüsterte und auf dem Gesicht der Mutter ein Ausdruck des Erschreckens und etwas
    wie Scham sichtbar wurde, was ihr gar nicht gut stand.
    Sie trat zu ihm heran.
    »Mein lieber Junge!« sagte sie.
    Sie war nicht imstande, Lebewohl zu sagen; aber der Ausdruck ihres Gesichtes sagte dies, und er verstand es.
    »Mein liebes, liebes Moppelchen!« sagte sie; mit diesem Kosenamen hatte sie ihn genannt, als er noch ein ganz
    kleines Kind war. »Du wirst mich nicht vergessen? Du ...« Aber sie vermochte nicht weiterzureden.
    Wie viele Worte und Wendungen fielen ihr später ein, in denen sie hätte zu ihm reden können! Aber im Augenblick
    fand sie keine geeigneten Ausdrücke und war nicht imstande, etwas zu sagen. Aber Sergei verstand alles, was sie ihm
    zu sagen beabsichtigte. Er verstand, daß sie unglücklich war und ihn liebhatte. Er hatte sogar verstanden, was die
    Kinderfrau geflüstert hatte. Er hatte die Worte gehört: »Immer zwischen acht und neun Uhr«, und er hatte
    verstanden, daß dabei vom Vater die Rede war und daß die Mutter mit dem Vater nicht zusammentreffen durfte. Das
    hatte er verstanden; aber eines konnte er nicht verstehen: warum hatte sich auf ihrem Gesichte ein Ausdruck des
    Erschreckens und der Scham gezeigt? ... Sie hatte nichts Schlechtes getan, und doch fürchtete sie sich vor ihm und
    schämte sich über etwas. Gern hätte er eine Frage gestellt, um eine Aufklärung über diesen Zweifel zu erhalten;
    aber er wagte es nicht; er sah, daß sie litt, und sie jammerte ihn. Schweigend schmiegte er sich an sie und
    flüsterte ihr dann zu:
    »Geh noch nicht weg. Er kommt noch nicht so bald.«
    Die Mutter schob ihn ein wenig von sich zurück, um darüber ins klare zu kommen, ob er das, was er gesagt hatte,
    mit Verständnis gesagt habe, und erkannte an seinem ängstlichen Gesichtsausdrucke, daß er nicht nur vom Vater
    sprach, sondern sie auch gewissermaßen fragte, was er von seinem

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