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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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besser wird. Die Frauen lächeln sich an. Der Wasserhahn tropft. Fjodor singt ausnahmsweise nicht um diese Tageszeit, und ein Sonnenstrahl fällt auf Wanda Krolls Ehering, der herausfordernd funkelt.
    »Wir sind so weit fertig. Sollen wir das Zimmer versiegeln?« Ein Mann von der Spurensicherung steht an der Tür. Er trägt einen weißen Overall und Plastiktüten über den Schuhen. Die Lage ist außerirdisch, denkt Anna, und dass sie auf Erden ihr Büro braucht. Das Leben geht weiter. Als es erlaubt ist, wie Karl Kraus schrieb. Abends wäre Liebling geflogen, sie hätte ihn nie wiedergesehen. Ein Trost ist das, aber einer, für den sie sich schämen sollte.
    »Nur für kurze Zeit«, sagt die Kommissarin. »Übermorgen können Sie Ihr Büro wieder beziehen. Geht das?«
    »Kann ich ein paar Sachen rausholen?«
    »Ja, sicher. Kollege Martens wird sie begleiten. Wir sind aber noch nicht fertig mit unserem Gespräch. Hier und jetzt – oder morgen in meinem Büro?«
    Ich will nicht allein sein, denkt Anna. Ausnahmsweise schiebt sie Unangenehmes nicht vor sich her. Sie entscheidet sich für hier und jetzt, holt den Laptop und das Telefon vom Schreibtisch sowie die Akte »Julia Mauz«. Die unbezahlten Rechnungen lässt sie liegen.
    Sie haben ihn in einen Sarg gelegt, nur die Zeichnung seiner Umrisse ist von Liebling geblieben. Der Sarg wird aus dem Haus getragen. Die Leute gaffen. Anna steht am Fenster und sieht zu, wie sie ihn in den Wagen hieven. Ein schwerer Mann, dies ist kein leichter Job. Sie müsste jetzt etwas fühlen. Erleichterung, dass er nicht mehr da liegt. Nur das Blut, die Rosen, die Scherben der Vase haben sie so gelassen, wie es war. Sie wird aufräumen müssen, später. Das Zimmer renovieren lassen.
    Den Teppich wird sie nicht in die Reinigung bringen, sondern entsorgen. Praktische Erwägungen, während Liebling auf seiner Fahrt in die Gerichtsmedizin ist. Anna durfte einmal zusehen bei einer Obduktion. Fleisch wird aufgeschnitten. Der Körper ausgeweidet und anschließend wieder zugenäht. Es gibt kein Leben nach dem Tod. Es ist einfach vorbei.
    »Hatte er Angehörige?«, fragt die Kommissarin in ihren Rücken.
    »Ich glaube nicht. Seine Brüsseler Sekretärin müsste das wissen, sie ist schon sehr lange bei ihm.«
    Wanda Kroll stellt sich zu Anna ans Fenster. Die Gaffer verlaufen sich, es gibt nichts mehr zu sehen, und nur noch ein einsames Polizeiauto parkt vor dem Haus. »Meine Mutter findet es unmöglich, dass ich meinen Mann verlassen habe. Sie meint, man müsse in guten und schlechten Zeiten zu ihnen stehen.«
    »Eine Frage der Leidensfähigkeit«, erwidert Anna. Soll sie die Kommissarin trösten? Vielleicht, denkt sie, wäre ein Mann doch besser gewesen.
    »Kann sein. Ich bin nicht sehr gut darin. Ich habe die Sekretärin bereits angerufen. Sie will herkommen und sich um die Formalitäten kümmern. Sie schien mir – verzeihen Sie – emotional sehr viel berührter als Sie, Frau Marx. Haben Sie eine Ahnung, wer ihn umgebracht haben könnte?«
    Emotional berührt! Soll sie weinen, klagen, zusammenbrechen? Gibt es eine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod? »Gar keine«, sagt Anna, und es ist die reine Wahrheit. »Ich fand es nur seltsam, dass er so plötzlich wegwollte. Er hatte sich in Brüssel etwas aufgebaut, die Geschäfte liefen. Und plötzlich kommt er nach Berlin und erzählt mir etwas von einer Insel. Treasure Island. Kennen Sie die?«
    »Ein Inselchen für Millionäre. Nicht ganz meine Gehaltsklasse. Und er hat Ihnen nicht erzählt, warum er so plötzlich weg wollte?«
    »Nein. Ich habe ihn gefragt. Ein paarmal. Gestern, beim Abendessen, und heute Morgen. Nichts. Liebling war der Typ, der offen und kommunikativ wirkte – und nichts von dem preisgab, was ihm wirklich wichtig war. Das fand ich irritierend, gelinde gesagt.« Anna sieht Wanda Kroll an, die von Sonnenlicht umflutet ist und wie eine Lichtgestalt wirkt. Nur ein Zimmer dieser Wohnung liegt auf der Sonnenseite, der Rest ist düster. Deshalb hat sie ihr Büro hier eingerichtet. Weil sie Licht braucht. Und ausgerechnet in diesem Zimmer … nein, das ist herzlos. Bodenlos. Annas Verdrängungskunst auf Abwegen. Man soll über Tote nur Gutes sagen, meinte Annas Mutter immer. Warum eigentlich?
    »Es sieht doch so aus, als ob er vor irgendetwas flüchten wollte.« Wanda Kroll sieht auf den blutverschmierten Teppich. »Aber es hat ihn bis hierher verfolgt. Vielleicht hatten Sie Glück, dass Sie beim Einkaufen waren … wie oft

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