Anna Marx 9: Feuer bitte
Nacht überwiegend stritten, habe ich Ihnen ja nicht verschwiegen. Martin war enttäuscht, böse, alles Mögliche, weil ich mich weigerte, ihm auf seine Insel zu folgen. Da fällt mir übrigens ein Name ein, den er erwähnte:
Schulz oder Schmitz oder … John mit Vornamen, da bin ich sicher. Ein Amerikaner in Brüssel, und Martin sagte: Ich laufe nicht vor John Schulz davon. Oder war es doch Schmitz? Ich habe nicht so genau zugehört, weil ich mit meinem Lamm beschäftigt war. Es hatte eine Panade aus Rosmarin, Thymian und Brösel, ein Spur Knoblauch war auch drin …«
Wanda Kroll, die sich seit dem Auszug aus der ehelichen Wohnung von Kuchen und Schrippen ernährt, verspürt plötzlich Appetit. Ich kehre wieder ins Leben zurück, denkt sie, und dass Anna Marx ein wunderbares Weib sein muss, wenn sie von Mord auf Lamm kommt, ohne mit der Wimper zu zucken. »John Schultz heißt er, die Sekretärin hat ihn auch erwähnt. Es ging zwischen den beiden um einen Beratervertrag – und um sehr viel Geld. Schultz ist Repräsentant eines amerikanischen Tabakkonzerns in Brüssel, und das Opfer wollte aus irgendwelchen Gründen aus dem Geschäft aussteigen. Leider hat das Opfer die Winter nie in Details eingeweiht.«
Anna wünscht sich, die Kommissarin würde nicht ständig vom »Opfer« sprechen. Er hatte einen Namen. Er hielt sich, als er sich noch unsterblich wähnte, für einen Liebling der Götter. »Martin war kein furchtsamer Typ. Ich glaube auch nicht, dass er von großen moralischen Skrupeln geplagt wurde. Ich kannte ihn wirklich nicht besonders gut, das sind alles nur Einschätzungen: Aber ich denke, dass Martin für sich eine Grenze gezogen hat zwischen dem, was er für Geld zu tun bereit war – oder eben nicht. Halten Sie es für möglich, dass er vor diesem Schultz davonlaufen wollte?«
»Möglich, wir werden der Sache nachgehen. Aber es gibt noch eine Hypothese für die Insel. Die Obduktion hat ergeben, dass das Opfer an einer Verengung der Herzkranzgefäße litt. Einen leichten Infarkt hatte er schon hinter sich. Und er wusste es, denn er hat einen Spezialisten aufgesucht vor zwei Wochen. Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«
Anna verneint, sie hatte keine Ahnung. »Männer sprechen nicht gern über ihre Krankheiten. Das wäre natürlich auch ein Grund, weshalb er so plötzlich in ein neues Leben einsteigen wollte.« Und ich, denkt Anna, wäre irgendwann mit einer Leiche auf einer Insel gestrandet. Sehr komisch, dieser Konjunktiv, in Anbetracht all dessen, was geschehen ist. Vielleicht hatte Liebling Recht: Sie ist herzlos. Versucht, ihr Herz zu schützen vor allem, was es stürmisch bewegen könnte. Und verkommt in Selbstmitleid, manchmal, was auszuhalten ist, solange Selbstgerechtigkeit aus dem Spiel bleibt.
»Irgendwann trifft jeder seinen Affen«, sagt Wanda Kroll unvermittelt und beginnt zu lachen. Anna wüsste gern, was sie meint, doch bevor sie fragen kann, klingelt ihr Handy. Sie greift danach und hört Alicias Stimme, die stark nach Panik klingt. »Sie müssen nach Brüssel kommen. Sofort.« Denn hört Anna ein Schluchzen, gefolgt von einem Piepsen. Der Akku ist leer, das Handy außer Betrieb, und Anna flucht leise. Sie antwortet Wandas fragendem Blick: »Ich muss nach Hause, um zu telefonieren. Dieses Ding ist tot. Ich vergesse immer, es aufzuladen.«
Die Kommissarin legt einen Schein auf den Tisch und steht auf. »Ich muss auch weg, wir haben schon viel zu lange geplaudert. Sie verlassen die Stadt doch nicht in nächster Zeit?«
Nach der Frage, die keine war, dreht sie sich um und geht. Anna sieht ihr nach und bewundert ihren graziösen Gang in scheußlichen Schuhen. Sie winkt der Kellnerin, die sich einen Sport daraus macht, zahlungswillige Gäste zu ignorieren. Erst als Anna den Tisch verlässt, eilt sie ihr nach und tauscht Rechnung gegen Euros. Anna eilt zur Tür, so schnell die Schuhe tragen. Sie braucht ein Taxi. Sie muss telefonieren. Sie soll die Stadt nicht verlassen. Und wenn sie es doch tut? Wird Wanda Kroll sie am Flughafen verhaften lassen?
21. Kapitel
Die Frau ist zu groß, um in der Menge unterzugehen. Sie trägt eine schwarze Reisetasche aus vergilbtem Leder und sieht sich manchmal um, als fühlte sie sich verfolgt. Doch die Reisenden mit ihren uniformen Rollkoffern beachten die Rothaarige nicht. Sie alle haben ein Ziel, und der Weg ist beschwerlich. Fliegen ist Busfahren auf höherem Niveau, alles schiebt und drängelt, um dann doch von Sicherheitskontrollen gestoppt zu
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