Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Gedanken. Scheiße. Sie ist auch eine Gestaltwandlerin. Also weiß sie alles, was mir in den letzten paar Minuten durch den Kopf gegangen ist. Jetzt ist es zu spät, die Verbindung abzubrechen.
Du hättest wirklich etwas sagen können.
Sie lacht. Warum denn? So war es viel lustiger.
Bist du auch ein Panther?
Nein. Sie hakt sich bei Frey unter. Ein Tiger. Das passt. Sie musste einfach irgendeine Art Katze sein.
Frey blickt zwischen uns hin und her. »Das ist unfair«, sagt er. »Ich kann nur eine Seite der Unterhaltung verstehen.«
Sie neigt leicht den Kopf nach oben und küsst Frey auf die Wange. »Kümmere dich um Annas Bedürfnisse«, sagt sie. »Ich gehe duschen.«
Röte steigt in Freys Gesicht, als er ihr nachschaut. Sie muss ihm zum Abschied noch eine Bemerkung zugeworfen haben, die mir verborgen geblieben ist.
»Was hat sie gesagt?«, frage ich.
»Geht dich nichts an.« Er strafft die Schultern und weist zum Flur. »Gehen wir in die Bibliothek.«
Ich folge ihm. »Hat das Schmusekätzchen auch einen Namen?«
»Den hat sie dir nicht genannt?«
»Nein. Würde ich dich sonst danach fragen?«
»Layla. Sie heißt Layla.«
»Und einen Nachnamen?«
Wir erreichen die Tür zur Bibliothek, und er stößt sie auf. Ich bekomme keine Antwort. Er hat sich mir gegenüber noch nie so geheimnisvoll gegeben, und das ist mir unheimlich.
»Sie hat gesagt, sie ist Innenarchitektin. Wo arbeitet sie denn?«
Wieder keine Antwort. Wenn er mir nichts gibt, womit ich arbeiten könnte, wie soll ich dieses Kätzchen dann überprüfen?
Er steht vor den Regalen und fährt mit dem Zeigefinger an einer Reihe von Büchern entlang. Freys Bibliothek ist riesig, drei Wände bestehen vom Boden bis zur Decke aus Bücherregalen. Auf dem Rücken jedes Buches steht der Titel irgendeines Literatur-Klassikers. Der Raum riecht nach altem Papier und Leder wie ein Antiquariat. Nur dass diese Bücher keine literarischen Klassiker sind, sondern Bücher über Magie, klug getarnt und durch einen Zauber geschützt.
Frey hat sich offenbar entschieden, denn er brummt leise und schnippt mit den Fingern. Er zieht einen Band heraus und dreht sich zu mir um, das Buch an die Brust gedrückt. »Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich das wirklich tun sollte«, sagt er.
Ich strecke die Hand nach dem Buch aus. »Sieh es mal so, wenn du es nicht tust und ich in eine Falle laufe, könntest du dir das jemals verzeihen?«
Wieder dieses Brummen, doch diesmal drückt er mir das Buch in die Hand. »Lies die ersten drei Kapitel. Und Kapitel siebzehn. Darin findest du alle nötigen Informationen.«
Das Buch liegt schwer auf meiner Handfläche. Der Titel lautet Great Expectations, und wenn ich ein Mensch wäre, würde ich es aufschlagen und nur den Text von Dickens sehen. Als ich es aber aufschlage, sehe ich eine verzierte altenglische Handschrift.
Ich blicke zu Frey auf. »Als ich das letzte Mal in eines dieser Bücher geschaut habe, war es in irgendwelchen Hieroglyphen verfasst. Sind sie alle unterschiedlich?«
Er schenkt mir ein schmallippiges Lächeln. »Da war ich noch nicht ganz sicher, ob ich dir trauen kann.«
»Du kannst den Text verändern?«
»Ach, Anna, ich kann alles Mögliche. Du würdest staunen.«
Ich starre ihn an. Nachdem ich nun Layla kennengelernt habe, muss ich ihm wohl recht geben. Was die Bücher angeht, so wusste ich ja, dass sie durch Zauber geschützt sind. Anscheinend ist Frey der Magier, der das gemacht hat. Beeindruckend.
Er nimmt mich beim Arm und führt mich zur Tür. »Versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst, Anna. Und ruf mich an, falls du irgendwelche Fragen hast. Ruf mich auf jeden Fall nach deinem Termin an.«
»Du machst dir so große Sorgen, weil ich mich mit einem Werwesen treffe?«
Er blickt grimmig drein. »Wenn du diese Kapitel gelesen hast, wirst du es dir hoffentlich anders überlegen. Kein Geschäft kann so wichtig sein. Aber wenn du unbedingt hingehen musst, nimm jemanden als Unterstützung mit. Williams vielleicht. Er hat im Moment offenbar reichlich Frei zeit.«
Plötzlich denke ich an Sandra. Denke irrationales Zeug, zum Beispiel, dass ich sie mit niemandem teilen will. Ich schüttele den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen. Dass ich so etwas überhaupt denke, scheint Freys Warnungen zu unterstreichen.
Ich halte das Buch hoch. »Ich werde das hier lesen, ehe ich irgendwelche Entscheidungen treffe. Versprochen.«
Er wirkt weder beeindruckt noch erleichtert. Er öffnet den Mund, um noch etwas zu
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