Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Tag.
Kapitel 54
David geht um acht, nachdem wir Kaffee getrunken haben, nach Hause, um sich umzuziehen. Die Werkstatt öffnet um neun, also bleibt ihm genug Zeit, mich abzuholen und zu Charm e r und meinem Leihwagen zu bringen, ehe er um zehn Uhr zu einer Besprechung mit Glorias Ärzten im Krankenhaus sein muss.
Sein Tag wird wesentlich weniger kompliziert als meiner, aber ich sehe ihm an, wie unwohl er sich mit der Aussicht fühlt, wieder mit Gloria allein zu sein. Großmütig biete ich ihm an, heute Abend bei ihr zu bleiben, wenn er mit Tamara ausgeht. Er dankt mir für das Angebot und nimmt es prompt an. Da ich nicht die Absicht habe, es überhaupt zu dieser Verabredung kommen zu lassen, sollte ich wegen dieser Täuschung ein schlechtes Gewissen haben.
Sollte ich. Habe ich aber nicht.
Sobald er weg ist, überlege ich, ob ich noch einmal versuchen soll, Tamara zu erreichen, rufe dann aber lieber Frey an. Er hat mir das Buch gegeben, vielleicht kann er mir noch mehr darüber sagen, wie man einen Vampir aus einem Werwolf exorziert oder so. Ich gehe nach oben zu dem Buch und wähle.
Layla, seine Freundin, nimmt ab. »Hallo, Anna«, sagt sie mit bemerkenswertem Mangel an Enthusiasmus.
»Ist Frey schon zur Schule gegangen? Ich muss ihn sprechen.«
Sie seufzt ins Telefon. »Heute ist Projekttag. Er muss erst um zehn in der Schule sein.«
»Kann ich ihn dann bitte sprechen?«
Sie knallt das Telefon so energisch auf irgendeine harte Oberfläche, dass ich zusammenzucke. Hat mich auch gefreut, Layla. Gleich darauf ist Frey am Apparat. »Anna?« Er klingt erleichtert. »Geht es dir gut?«
»Warum sollte es mir nicht gutgehen?«
»Warum? Du wolltest einen Werwolf treffen. Hast du das Buch nicht gelesen?«
»Deshalb rufe ich an. Ich brauche mehr Informationen über Vampire und Werwölfe. In dem Buch steht, ein mächtiger Vampir könne einen Werwolf körperlich kontrollieren. Wie ist das geistig?«
»Geistig?«
»Ist es möglich, dass ein Vampir – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll – seinen Geist oder seine Seele in einen Werwolf teleportiert? So dass der Vampir den Werwolf geistig und körperlich beherrscht?«
Nach einer langen Minute des Schweigens fragt er: »Welcher Vampir? Was für ein Werwolf?«
»Würdest du einfach die verdammte Frage beantworten? Ist so etwas möglich?«
»Sprichst du von Avery?«
Frey gehört den Wächtern an, einer Gruppe übernatürlicher Wesen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Sterblichen gegen jene Kreaturen zu schützen, die sie allein als Beute betrachten. Ich habe auch mal dazu gehört. Er kennt meine Geschichte. Was ich ihm nicht selbst erzählt habe, wird Williams ihm sicher gesagt haben, deshalb überrascht es mich nicht, dass er gleich vermutet, ich könnte von Avery sprechen. Also antworte ich einfach mit »Ja«.
Ich zappele unruhig, während von seiner Seite wieder lange Schweigen herrscht, und breche es dann selbst, indem ich sage: »Ich verstehe nicht, warum du mit der Antwort so lange brauchst. Entweder ist es möglich oder nicht.«
»Anna, du selbst hast Averys zweiten Tod herbeigeführt«, entgegnet Frey. »Warum stellst du so eine Frage?«
Wieder weicht er nur aus. Ich schlucke meine Ungeduld hinunter und erzähle es ihm. Alles. Wer Sandra ist. Wie ihre Augen und ihre Stimme sich verändert haben, als sie wortwörtlich wiederholte, was Avery an jenem letzten Abend zu mir gesagt hatte. Dass sie dasselbe Kleid trug, das ich an jenem Abend anhatte, ein Kleid, das Avery mir geschenkt hatte. Dass mein Körper auf sie in derselben sexuellen Weise reagiert wie auf Avery. Dass die Angst, die ich empfunden habe, bevor ich davongelaufen bin, ganz genau dieselbe überwältigende Furcht war, die ich gefühlt habe, als ich gegen ihn um mein Leben kämpfen musste.
Alles.
Als ich fertig bin, ängstigt mich Freys gedämpfte Stimme ebenso sehr wie seine Worte, als er sagt: »Du musst vorsichtig sein, Anna. Falls Avery mächtig genug sein sollte, das zu tun, was du vermutest, dann bist du in großer Gefahr.«
»Falls? Du weißt also nicht, ob es möglich ist?«
»So etwas ist nie dokumentiert worden. Es gab Gerüchte. Ich weiß von zwei Fällen, in denen ein Vampir im Augenblick des zweiten Todes den Körper eines Werwolfs übernommen haben soll. Keiner dieser Fälle ist gut ausgegangen. Falls Avery so etwas fertiggebracht hat, könnte er in Sandras Körper unbegrenzte Zeit weiterexistieren – solange er ihr erlaubt, regelmäßig zur Wölfin zu
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