Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
das Buch und lasse es in den Schoß sinken. Ist es also möglich? Könnte Averys Geist oder Seele im Augenblick seines zweiten Todes irgendwie in Sandra gefahren sein? Hat Tamara das gemeint, als sie behauptet hat, nicht Sandra hätte gestern Nacht mit mir gesprochen, sondern Avery? Warum dann so geheimnisvoll? Warum hat sie es nicht einfach geradeheraus gesagt? Wenn es wahr ist, wann und wie hätte Avery in den Besitz von Sandras Talisman gelangen können? Sie war nicht hier, als ich bei ihm war. Oder doch? Stimmt das, was ich auf der Fahrt zu Davids Hütte im Scherz zu Tamara gesagt habe?
War Sandra die ganze Zeit bei uns, während ich mit Avery zusammen war? Das macht meine Affäre mit ihm noch unheimlicher.
Ich muss mit Tamara reden. Davids Handy. Ich werfe die Bettdecke von mir und laufe nach unten. Die Nachricht habe ich gelöscht, aber er muss ihre Nummer gespeichert haben, denn er hat sie früher am Abend angerufen. Tatsächlich, da ist sie. Ich präge sie mir ein und wähle sie auf meinem eigenen Handy, sobald ich wieder oben bin.
Das Telefon klingelt fünfmal, ehe die Mailbox drangeht. »Hallo, hier ist Tamara. Ich kann gerade nicht ans Telefon, vielleicht bin ich ja draußen und belle den Mond an. Wenn du mir nach dem Piepton eine Nachricht hinterlässt, rufe ich zurück.«
»Den Mond anbellen? Sehr witzig, Tamara. Hier ist Anna. Ruf mich an.«
Ich lege auf und versuche zu schlafen, aber mein Geist will sich nicht beruhigen. Bei der Vorstellung, dass Avery in Sandra weiterleben und in der Lage sein könnte, meine Gefühle zu kontrollieren und mir eine solche Angst einzugeben, wird mir schlecht vor Grauen.
Es wird eine lange Nacht. Endlich nicke ich doch ein, fahre aber hoch, als ich ein Geräusch von unten höre. Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass das nicht Avery ist, der mich holen will, sondern Wasserrauschen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Sieben Uhr früh. David muss aufgewacht und in die Küche gegangen sein, um Kaffee zu kochen.
Scheiße. Ich schleudere die Decke von mir und springe aus dem Bett. Wenn er in meine Küchenschränke oder den Kühlschrank schaut, wird ihm auffallen, dass ich nichts zu essen im Haus habe. Gar nichts. Ich weiß, dass ich für solche Fälle des Kontakts mit Menschen etwas da haben sollte, aber ich vergesse es immer wieder. Einkaufen gehe ich jetzt nur noch bei Starbucks. Als ich die Küche erreiche, steht ihm die Frage ins Gesicht geschrieben.
»Kein Wunder, dass du so dünn bist«, sagt er. Er steht mit der Kaffeetüte in der Hand vor dem offenen Kühlschrank. »Du hast überhaupt nichts zu essen da. Herrgott, Anna, wie kann man keine Lebensmittel im Haus haben?«
Ich reiße ihm die Tüte aus der Hand und bringe sie zur Kaffeemaschine. »Ich habe noch nie gern gekocht, das weißt du doch. Ich esse immer auswärts. Na und? Ich habe nicht erwartet, heute Morgen Besuch zu haben. Du solltest dich lieber bedanken, weil ich mich gestern Nacht in deinem Suff um dich gekümmert habe, statt hier herumzumeckern.«
Er errötet dunkel, als schiebe sich ein Schatten über sein Gesicht. »Ich weiß gar nicht, was passiert ist. So viel kann ich doch nicht getrunken haben.«
»Wie wäre es mit drei Flaschen Chianti? Gingen auf Ted.«
»Drei Flaschen? Ich ganz allein? Hast du denn nichts getrunken?«
Soll ich ihm die Wahrheit sagen? Dass ich nur ein Glas pro Flasche getrunken habe? Und wie ein Weichei dastehen? Nein. »Ich habe kräftig mitgeholfen.«
Er reibt sich die Stirn. »Wir haben zusammen drei Flaschen getrunken? Warum fühlt mein Kopf sich dann so furchtbar an und deiner anscheinend nicht?«
»Ist das nicht offensichtlich? Ich vertrage einfach mehr als du.«
Er brummt und setzt sich an den Tisch. Während der Kaffee durchläuft, hole ich zwei Becher aus einem beinahe leeren Küchenschrank. Ein Glück, dass ich da war, ehe er anfangen konnte, in den Schränken herumzusuchen. Sonst würde er sich jetzt wohl genauso über fehlendes Geschirr wundern wie über das fehlende Essen. Alles, was ich hatte, ist bei dem Brand zerstört worden. Ich bin bisher nicht dazu gekommen, das Geschirr zu ersetzen. Aber jetzt muss ich mich darum kümmern.
Ich werde etwas Geschirr und ein paar Konserven anschaffen. Bald.
Aber heute muss ich Tamara aufspüren. Sie mir vorknöpfen wegen dem, was mit meinem Auto passiert ist. Außerdem sollte ich mich mit Jason treffen und meinen Vater wegen O’Sullivan und dieser »gestohlenen« Formel anrufen.
Das wird ein langer
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