Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
einfacher, Mrs. O’Sullivan zu bearbeiten und sie zu einer Einigung zu zwingen, damit ihr eine hässliche Schlammschlacht vor Gericht erspart bleibt.«
»Laura würde ganz sicher keinen Prozess wollen«, wirft Jason verbittert ein. »Dad ist erst seit ein paar Tagen tot, und sie lässt schon irgendwelche Anwälte überprüfen, wie viel von seinem Vermögen mir zusteht und wie viel davon ihr gehört. Sie hat sogar schon Kontakt zu meinen Großeltern aufgenommen und gefragt, ob ich bei ihnen einziehen kann. Sie will mich so schnell wie möglich loswerden. Mit dieser Klage will sie sich bestimmt auch nicht herumschlagen.«
Jamie tippt mit einem manikürten Fingernagel auf der Armlehne herum. »Ich werde gleich Detective Harris anrufen. Jason, ich möchte, dass du ihm erzählst, was du mir gerade erzählt hast. Er findet einige Aussagen deiner Stiefmutter jetzt schon verdächtig. Beispielsweise hat die Polizei festgestellt, dass es in der Buchführung des Restaurants keinerlei Ungereimtheiten gab. Es gibt auch keinen Beweis dafür, dass dein Vater und Gloria eine Affäre hatten. Nun, da er nicht mehr lebt, kann deine Stiefmutter nur noch den Verdacht äußern. Gloria wird ganz sicher nichts dazu sagen. Wir bekommen Gloria sicher nicht sofort vom Haken, aber wir können Harris’ Ermittlungen in eine andere Richtung lenken. Das ist immerhin ein Anfang.«
Jason wirkt nicht überzeugt, ist aber bereit, mit Harris zu sprechen. Während Jamie das arrangiert, frage ich ihn, ob er mich bei der Vernehmung dabeihaben möchte. Ich bin erleichtert, als er nein sagt. Ich muss noch eine gewisse Angelegenheit mit Sandra regeln, und je schneller ich mich darum kümmere, desto eher werde ich mich in meiner eigenen Haut wieder sicher fühlen.
Bevor ich das Anwaltsbüro verlasse, nehme ich Jamie beiseite. Ich gebe ihr die Telefonnummer meines Vaters, für den Fall, dass sie Fragen zu O’Sullivans Geschäften mit Benton Pharmaceuticals haben sollte. Außerdem gebe ich ihr die Einladung. Sie begreift den Zusammenhang sofort.
Dann erzähle ich ihr, wo Jason die vergangene Nacht verbracht hat. Sie fragt nicht, warum, oder ob Laura ihn rausgeworfen hat, und ich erwähne es nicht von mir aus. Jason ist minderjährig, und sie verspricht mir nur, dafür zu sorgen, dass er gut nach Hause kommt, wenn sie bei der Polizei fertig sind. Aber ihrem Tonfall nach habe ich das Gefühl, dass sie geradezu hofft, Laura möge ihr einen Grund liefern, irgendwelche passenden juristischen Maßnahmen zu ergreifen. Das hoffe ich auch.
Dann bin ich allein. Bisher habe ich kaum darüber nachgedacht, wie ich das Problem mit Sandra angehen soll. Ich weiß, was ich tun muss – diesen Talisman finden. Vielleicht kann Tamara mir helfen.
Ich rufe sie an, und diesmal geht sie ans Telefon. »Anna. Ich wollte dich gerade anrufen.«
»Ja. Sicher.«
»Hat David dir erzählt, dass er mir heute Abend etwas Gutes kochen will?«
Nicht wenn ich es verhindern kann. »Ja, aber ich muss vorher mit dir sprechen. Es geht um Sandras Problem.«
Einen Moment lang herrscht Stille. »Du glaubst mir also jetzt?«
»Ja.«
»Warum?«
»Spielt das eine Rolle? Wollt ihr meine Hilfe oder nicht?«
»Wo bist du?«
»Auf dem Weg zu Averys Haus.«
»Gut. Wir warten auf dich.«
Kapitel 59
Meine Stimmung auf dem Weg zu Sandra ist völlig anders als beim letzten Mal. Kein schickes Kleid, keine erotischen Phantasien, die mir im Kopf herumschwirren wie Wespen um die Limonade. Diesmal will ich zwei Dinge erreichen – Sandra befreien und Avery zur Hölle schicken, wo er hingehört. Jeden Tag lerne ich mehr darüber, was es bedeutet, ein nicht menschliches Geschöpf zu sein, und jeden Tag finde ich einen weiteren Grund, das zu hassen, was ich geworden bin.
Wenn die Alternative nicht so traurig wäre, wenn ich nicht meine Familie und David hätte, um all das Böse aufzuwiegen, könnte diese Bürde unerträglich sein.
Ich weigere mich, darüber nachzudenken, was ich tun werde, wenn sie nicht mehr da sind.
Mein Blick huscht immer wieder zum Rückspiegel. Zwei Tage sind seit dem versehentlichen Zusammentreffen mit Williams’ Wachhund bei Mister A’s vergangen. Seither habe ich Toms Escalade nicht mehr gesehen. Entweder hat er das Fahrzeug gewechselt, oder Williams hat ihn abgezogen, und ich habe einen neuen Schatten.
Vielleicht hat Williams die Überwachung auch ganz abgeblasen. Vielleicht hält er es nicht mehr für nötig, mich beschatten zu lassen, weil ich ja nicht mehr lange da
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