Anna und Anna (German Edition)
vorher.
Warum? Das ist ganz einfach zu erklären.
Man stelle sich vor, du wärst plötzlich, ganz unverhofft, wieder bei mir und wir könnten uns zu zweit des Lebens freuen.
Ich wäre himmelhochjauchzend!
Und würde deshalb tief, ach so tief fallen, stünde ich dann auf einmal doch wieder ohne dich da. Ich würde dich garantiert noch viel mehr vermissen als vorher.
Genauso geht es mir jetzt mit Henri.
Und noch schlimmer: Genauso geht es meiner kleinen Anna mit Jan.
Ich weiß ja, wie das ist! Die Sehnsucht. Der Herzschmerz. Aber für Anna ist es das erste Mal.
Lieber Henri,
Bella hat sich erkundigt, ob wir sie mit Absicht in den Wahnsinn treiben oder nur so aus Versehen.
»Seitdem ihr aus Amsterdam zurück seid, seid ihr so übellaunig, dass es nicht zum Aushalten ist«, schimpfte sie.
»Du verstehst das nicht«, fauchte Anna. »Keiner versteht das.«
Da hat sie unrecht. Ich weiß noch, wie das war, zum ersten Mal verliebt zu sein. Und Bella vielleicht auch. Ich weiß auch noch, wie das war, zum ersten Mal Liebeskummer zu haben.
Ich muss leider sagen: Es wird nicht leichter, damit fertigzuwerden. Auch nicht im Alter.
Oder was sagst du?
Danke für die Blumen, lieber Henri.
Sie stehen auf meinem Nachttisch, Bella hat mir ihre liebste Vase dafür gegeben, ich war sehr gerührt. Jetzt rieche ich noch abends im Einschlafen Rosenduft und sehe morgens beim Aufwachen als Erstes weiße Fresien.
Ich vermute, du wolltest mir damit etwas sagen. Was wird es wohl sein?
Ich weiß ja, die richtigen Worte zu finden ist schwer. Anna versucht es gerade, kommt aber nicht sehr gut voran. Sie redet weder mit Bella noch mit mir über Amsterdam. Also über Jan. Und jene Nacht.
Und sie hat Jan noch immer nicht geschrieben. Nicht mal die Dankeskarte, zu der Bella sie drängt. Ich sie auch, zugegeben. Sie versucht es wirklich! Immer wieder sehe ich sie an ihrem Schreibtisch sitzen. Doch soweit ich weiß, hat sie bis jetzt keinen Brief abgeschickt.
Hoi Jan!
Siehst du, ich kann schon Holländisch!
Das liegt daran, dass ich es so großartig fand und ganz verliebt war in Amsterdam …
Ahoi erster Maat!
Was macht unser Boot, wie geht es Juliet der Zweiten?
Ich muss oft an sie denken. Und an dich …
Lieber Jan,
so wird das nichts. Ich versuche es jetzt anders. Aber ich befürchte, das wird der seltsamste Brief, den ich je geschrieben habe. Und ich habe schon viele seltsame Briefe geschrieben. Frag Oma.
Was diesen hier so besonders macht, ist: Ich werde ihn nicht abschicken. Nein, niemals!
Das habe ich von Oma Bloom gelernt.
Sie hat an Henri geschrieben, immer und immer wieder. Nicht nur weil sie ihm etwas zu sagen hatte, sondern weil sie überhaupt etwas zu sagen hatte.
Und genau wie sie weiß auch ich nicht, wem ich sagen soll, wie ich mich fühle. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mich fühle! Ich weiß nur, so habe ich mich noch nie gefühlt. Und ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt.
Ich gestehe: Ich muss immerzu an dich denken.
Ich verstehe jetzt, warum Mädchen, die in Tagebücher schreiben, ihre Tagebücher verstecken. Ich verstehe jetzt sogar, warum manche für ihre Tagebücher ein Schloss haben! Dass jemand diese Sätze liest, würde ich auch nicht wollen.
Deshalb schicke ich diesen Brief auch nicht ab. Sondern einen anderen.
Deine Anna
Lieber Jan,
wie geht es dir? Mir geht es gut.
Es war ehrlich schön in Amsterdam. Findet Oma auch. Ich soll dich herzlich grüßen. Und Helen natürlich!
Vielen Dank und hoffentlich auf bald. Ja?
Gruß,
Anna
Kein Wort von Jan. Ich weiß das genau, denn ich sitze immer schon mit einem großen süßen Milchkaffee am Küchentisch, wenn Ben die Post hereinholt. Während mein Kaffee dampft und die Sonne sich um die Ecke schiebt, schaue ich meinem Schwiegersohn dabei zu, wie er die Briefe durchblättert. Manchmal lächelt er plötzlich, sagt: »Für dich, Anna B.«, und reicht mir einen Brief von dir. Doch für meine kleine Anna war seit unserer Rückkehr nichts dabei.
Anna macht das ganz unglücklich. Aber ich denke daran, wie es vorher war. Zwei Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen, ein Jahr lang haben sie nichts voneinander gehört und trotzdem hat Jan sie nicht vergessen. Im Gegenteil. Ich bin sicher, wenn er sich endlich meldet, tut er es mit einem Paukenschlag.
In der Hinsicht ist er ein bisschen wie du.
Lieber Jan,
das wird wieder so einer von diesen
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