Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
jeder! Das wirst du noch früh genug merken.“
„Willst du mir drohen?“
„Nein“, grinste es aufgesetzt, „ich sage dir nur, was Sache ist.“
„Greda, diesen Unsinn braucht hier keiner! Es gibt so viele Gebiete, auf denen du dein Talent zum Wohl aller einbringen könntest. Komm zur Vernunft! Du kannst schon so viel und das könntest du hier auch bestens anwenden.“
„Nein. Ich bin nicht deine Nachfolgerin. Das war mir klar genug. Und für die Allgemeinheit zu schuften habe ich nie als meine Berufung gesehen. Also kann ich gleich gehen und tun, was auch immer, vor allem, was mir gefällt.“ Es zog die Tür auf.
„Aber Gerda-Kind, ich dachte, dir gefällt das, was du hier tust“, stammelte Alphira entrüstet.
Das Mädchen drehte sich um: „Ich muss nicht bis Ende meines Lebens eine zweite Geige spielen. Ich brauche keinen, der mir sagt, wie und was ich zu tun habe. Auf Dauer nervt das!“ Sie schritt über die Schwelle und knallte die Tür hinter sich zu.
„Seitdem hat sie keiner in der Oberwelt mehr gesehen“, sagte die Großmagierin traurig. Später habe ich mitbekommen, dass sie beim Herrn der Unterwelt untergekommen war. Ich war erleichtert, Greda in guten Händen zu wissen.“ Sie blickte schweigend auf die Tulpen vor ihren Füßen, holte dann tief Luft und sprach weiter: „Es vergingen Jahre. Vieles ist in der Oberwelt passiert, Gutes und weniger Gutes. Ich brauchte ein paar helfende Hände und ging auf die Suche.
Bald ergab es sich mit Anna und ich holte sie in die Oberwelt. Ich zog sie als meine Tochter auf, brachte ihr fast alles von der Magie bei, was ich selbst konnte. Ich wollte bei ihr keine Fehler machen. Aber es hat, wie es aussieht, nicht so wirklich geklappt. Wie bei Greda. Es kam schlichtweg anders.“ Alphira atmete erschöpft aus, schloss die Augen, schwieg eine Weile, dann blickte wieder auf.
„Als die Drachen nicht mehr in der Oberwelt waren, kamen keine einfachen Zeiten auf uns zu. Die unliebsamen Veränderungen nahmen immer mehr Einfluss auf unser tägliches Leben. Dichter Nebel hing tagelang tief über dem Boden und zog nur selten ab. Dazu wurde es kalt und feucht. Ein unerträglicher Geruch von Verwesung und Schwefel verbreitete sich in der Luft. Der Große Wald fing an zu versumpfen. Es ging schneller als es in der Menschenwelt üblich ist, wenn so etwas passiert. Der Verfall der ganzen Oberwelt ging rasch vonstatten, viel schneller als wir es vertragen konnten. Es war wie ein böser hartnäckiger Fluch, der über uns geworfen wurde.
Es gab Gerüchte, dass die Geschichte sich aufs Neue wiederholte, dass die Unterwelt oder das, was daraus geworden war, sich so rasant ausbreiten würde, um uns unter sich zu begraben. Das Verschwinden der Drachen hätte die Ganzheit der Anderen Welt zerstört und gab etwas anderem Raum, was wir nicht kannten und damit nicht umzugehen wussten. Die neuen Zeiten brachen ein, wie es damals hieß. Es war eine uralte Geschichte. Doch plötzlich war sie zum Greifen nah.
Ich war beunruhigt über all diese Entwicklungen und suchte ein Gespräch mit dem Herrn der Unterwelt. Es war aber zu spät. Er war nicht mehr auffindbar. Auf seinem Thron saß eine junge Dame, klein und feingliedrig, immer in schwarzen Roben gekleidet, die meist üppig mit dunklen Edelsteinen verziert waren. Ich musste mich wundern, dass sie imstande und willens war, ihre Kraft auf das Tragen von so einer schweren Robe aufzuwenden. Es wurde später klar, dass sie sich darum keine Gedanken machen musste, da sie mehr als genug davon hatte.
Die neue Herrin der Unterwelt genoss keinen besonders guten Ruf. Für ihre unbarmherzige Art, wie sie mit den Untergebenen umging, wurde sie die Grausame genannt. Später veränderte sie ihr offizielles Erscheinungsbild. Für die meisten ihrer Diener, erst recht für die von ihr geschaffenen Untoten erschien sie wie ein großer, kräftiger, furchterregender Mann. Nur die ehemaligen Oberweltler, die ihr eigenes selbst noch behalten durften, hatten sie immer noch so gesehen, wie sie war: eine kleine Frau in Schwarz.
Ich habe es von einem Mann erfahren, der, bis zu Knochen abgemagert, schwach und fast komplett seiner Identität beraubt, doch seinen Weg zurück in die Oberwelt gefunden hatte. Er kehrte wieder heim zu seiner Frau, die auf ihn seit Langem wartete. Ich besuchte die beiden damals oft und tat, was ich konnte, um all das, was ihm widerfahren war, zumindest etwas abzumildern.
Manches konnte ich nicht wieder gut machen. Zeitweise
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