Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
und Diener vervielfältigt.“
„So viel muss man erst mal aushalten können“, seufzte Anna.
„Sie schöpft ihre magische Kraft daraus. Davon kann sie nicht genug haben, wie es aussieht.“ Der alte Herr sah eine Weile in das funzelige Licht seiner kleinen Lampe und fuhr fort: Sie hat ihre eigene Welt aufgebaut, die mit der eigentlichen Anderen Welt nicht viel zu tun hat. Die Unterwelt wurde bis zur Unkenntlichkeit verändert und erstickte im Hass und Gewalt. Das hier“, er blickte um sich, „und was ihr gerade gesehen habt, ist nur ein Teil davon. Das Ganze ist ein riesiges, nach unten in den Fels gehauenes Schloss. Ich war auf allen Ebenen und die meisten Gänge abgelaufen. Der Bau ist recht nüchtern, aber der Inhalt ist faszinierend und grausam zugleich. Das größte Teil davon auf jeden Fall. Wir sind gerade in einem winzig kleinen Abschnitt davon gewesen. Und haben längst nicht alle Türen aufgemacht.“
„Weißt du, wie man hier rauskommt?“, fragte Ian.
„Das schon“, nicke er. „Man benötigt aber so viel Kraft dafür, dass kaum jemand es schafft. Und wenn man länger hier bleibt, ist man nach einer Zeit so schwach, dass keine Flucht mehr möglich ist. Und man muss schon eine enorme Menge davon aufbringen, um hier rauszukommen.“
„Das Problem, glaube ich, habe ich gar nicht. Ich habe die Kraft“, sagte der junge Mann leise.
„Jugend! Die schöne unbeschwerte Zeit!“ Der alte Herr blickte ihn ernst an: „Eine von den goldenen Regeln der großen Magier lautet: Lerne, deine Kraft richtig einzuschätzen und sie auf die wichtigen Dinge im Leben zu verteilen. Man kann viel davon haben, sie aber auf Sachen verpulvern, die einem vielleicht als interessant oder reizvoll erscheinen, aber am Ende des Tages nichts bringen, weil sie mit der Lebensaufgabe wenig gemeinsam haben. So eine Zweckentfremdung ist ein Vergehen, ein Sakrileg. Ich bin nun schon länger hier. Und wenn ich an mein Leben zurückdenke, eins habe ich aus dem Ganzen gelernt: Man sollte es vermeiden, so gut, wie es geht, deine Lebenskraft auf die Dinge zu verschwenden, die mit deinem Wesenskern nichts zu tun haben. Da sollte man sehr konsequent sein.“
„Gut, schon klar“, nickte Ian. „Ich fand aber, dass das, was ich vorhabe, gerade meiner Aufgabe entspricht. Und ich habe die Kraft, die für alle reicht. Weißt du, wie man deine Leute aus den Umschlägen da rausholt?“
„Kümmere dich erst mal um deine Sache, um die Angelegenheiten der Oberwelt. Dann siehst du weiter“, sagte der alte Magier.
„Abgemacht“, lächelte der junge Mann. „Es ist schon seltsam von dem alten Herrn der Unterwelt zu hören, dass die Oberwelt Vorrang hat.“
„Es geht nicht mehr nur um die Ober- oder Unterwelt. Es geht um das Ganze, um die Andere Welt als solche. Die junge Dame, die meinen Thron als Ihren wähnt, hatte einen wichtigen Aspekt, eine grundlegende Weisheit außer Acht gelassen. Die Andere Welt war wie durch die Mitte geteilter, geschlossener Kreis, in dem eine Hälfte hell, die andere dunkel war. Die beiden waren wie zwei Seiten einer Medaille, wie Licht und Schatten. Und das Wichtigste war, dass sie sich stets im Gleichgewicht befanden. Daraus nahmen sie ihre Stärke. Die Andere Welt lebte immer von und nur aufgrund dieser Gleichstellung zwischen den beiden Hälften.
Es gab ein Gleichgewicht zwischen den Weltanschauungen und den Werten, die das Leben und Handeln der Bewohner bestimmten. So blieb die Oberwelt, die eigentlich früher die obere Welt genannt wurde, was eher geografisch gemeint war, gesund und zufrieden. Sie erfreute sich der stets wachsenden Zahlen von Neuankömmlingen aus der Menschenwelt und aus den eigenen Reihen. Besonders die Familien aus dem Drachengeschlecht waren kinderreich, schon immer.“
Der alte Mann lächelte beseelt, blickte in die Schwärze, als ob er dort die bunten Bilder aus den guten, alten Zeiten sehen konnte. Dann wandte er sich wieder den beiden zu. „Und auch der Unterwelt, die früher die untere Welt hieß, und der Name ebenfalls eher geografisch als hierarchisch gemeint war, ging es gut. Wir ergänzten einander mit neuen Ideen, Erkenntnissen, Errungenschaften, allem, was die Andere Welt insgesamt weiter nach vorne brachte.“
„Und dann kam die Grausame.“
„Ja“, nickte der alte Mann. „Zu spät habe ich verstanden, worum es ihr wirklich ging.“ Er seufzte, blickte verzweifelt auf die Umschläge hinter Anna, schüttelte den Kopf und fuhr fort: „Es ging bei uns damals sehr
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