Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
zu verwandeln. Ich muss wohl hier bleiben.“ Sie blickte traurig auf die leeren Hüllen hinter dem alten Herrn der Unterwelt.
„Das kommt nicht infrage“, protestierte Ian. Er kniete sich neben ihr und legte seinen Arm um ihre schmalen Schultern. „Ich dachte, du könntest als ein schöner Diamant auf dem schwarzen Gewand die Reise antreten. So musst du dich nicht bewegen, ich habe dich immer bei mir und es ist ganz normal, wenn ein Stein nichts ausstrahlt.“
„Ich kenne Steine, die jede Menge ausstrahlen“, seufzte Anna, „die ganzen Lebensgeschichten von mehreren Generationen.“
„Nun hier, in der Unterwelt ist es nicht besonders schlimm, wenn ein Stein ein Stein und nichts weiter ist, nehme ich mal an.“ Ian blickte den alten Magier fragend an und stand wieder auf.
„Als Schmuck des Schwarzen Prinzen fällt so ein Diamant nicht besonders auf. Das stimmt“, nickte er.
„Gut. Ich hoffe, du bist einverstanden.“ Er wandte sich mit diesen Worten zu Anna und musste sie sogleich auffangen. Sie war gerade dabei aufzustehen, aber ihre Knie gaben nach. Ian schnappte sie an den Schultern, drehte sie zu sich, sah eindringlich in ihr erschöpftes Gesicht und schüttelte sie leicht. „Komm zurück, wir schaffen es.“
Die junge Frau machte langsam die Augen auf. Sie sah alles wie durch einen dicken Nebelschleier. Seine Stimme klang, als wenn sie aus einem Grammofon kam, das länger nicht mehr aufgezogen war: Sie gleiste grotesk in die Tiefe ab und wurde immer langsamer. Anna spürte, dass sie diesmal kräftiger geschüttelt wurde. Die Stimme wurde daraufhin deutlicher und leierte nicht mehr so stark. Da hat doch jemand das Ding wieder aufgezogen . Sie wurde wieder geschüttelt. Auf einmal sah sie Ians besorgte Miene deutlich vor sich.
„Bist du wieder da?“
„Ja. Lass mich einfach los.“
Er setzte sie auf die Ecke vom Stapel zurück und stellte sich hinter ihr, seine Hände auf ihre Schultern gelegt.
„Kannst du etwas vom blauen Feuer entbehren?“, fragte Ian den alten Magier.
„Das schon, bloß es bleibt dann so gut wie nichts mehr für uns. Und wann wir Nachschub bekommen, ist ungewiss.“
„Keine Sorge, ihr müsst nicht mehr lange in diesem Zustand verbringen. Ich werde mich sofort drum kümmern, sobald ich es kann.“
„Du hast doch selbst so viel Kraft“, flüsterte Anna. „Wozu willst du denn das blaue Feuer?“
„Für dich. Ich glaube, ich kann meine Kraft nicht übertragen. Und wir müssen los.“
„Was hast du eigentlich vor?“, fragte der alte Herr und blickte neugierig zu ihm auf.
„Ich muss schlicht zu dem werden, was ich eigentlich bin. Dann gibt es genug vom blauen Feuer, für alle“, antwortete Ian ernst.
„Du überschätzest dich“, seufzte der Magier. „Feuer von mehreren Drachen ist nötig, um etwas an der heutigen Situation ändern zu können. Alleine im Felde ist man kein Krieger, sagte man früher bei uns.“
„Ich sehe, du weißt mehr.“
„Was meinst du?“
„Ich denke an die eingeschlossenen Drachenseelen im Labyrinth weiter oben. Man könnte sie doch wieder in die Drachen zurückverwandeln. Ich meine, es müsste doch etwas geben, das man als Gegenteil zu dem Fluch von damals anwenden könnte.“
„Er meint ein Gegenzauber“, erklärte Anna leise.
Der alte Herr nickte. „Ich verstehe.“ Und schwieg.
„Hast du eine Idee, wie man es macht?“, bohrte Ian nach. „Das würde uns weiter helfen. Uns allen, würde ich sagen.“
„Ich überlege, wie ich es dir am besten sagen soll …“
„Sag, wie es ist. Der kürzeste Weg zu einem Ziel ist immer noch eine Gerade.“
„Ich will, dass du es auch richtig verstehst.“
„Schieß los, ich werde mir größte Mühe geben.“
„Man weiß nicht, ob gegen diesen Fluch auch einen Gegenzauber gibt. Es ist ihre eigene, selbst erfundene magische Formel gewesen.“
Anna hob den Kopf, sah den alten Herren mit einem glasigen Blick an und flüsterte: „Manche Drachenkörper sind längst zerfallen. Seit dem Fluch ist es schon etwas her.“
„Es reicht eigentlich ein Stein davon“, sagte der Magier. „Die Oberwelt wurde holografisch geschaffen. Das bedeutet, ein Teil trägt in sich das Ganze.“
Ian runzelte die Stirn. „Heißt es, wenn die Drachenseelen frei wären und mit ihren versteinerten Körpern oder wenigstens Teilen davon zusammenkommen würden, dann könnte doch etwas Gutes daraus werden, oder?“
„Das wäre zu einfach, fürchte ich“, seufzte die junge Frau.
„Gut“, nickte er.
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